Jacques Offenbach

Warum er kein Wiener werden konnte

1819 - 1880

Die Beschäftigung mit dem »Vater der Operette« fördert zahlreiche historische Missverständnisse zutage.
Hoffmanns Erzählungen in Klosterneuburg, eine Gala in Grafenegg, Orpheus in der Unterwelt in Salzburg - die österreichischen Sommerfestivals feierten 2019 den 200. Geburtstag von Jacques Offenbach ausgiebig.
In Grafenegg erinnerten die Cellistin Raphaela Gromes und ihre Klavierpartner Julian Riem sogar an die Anfänge des Komponisten: Daß der rheinische Kantorensohn als virtuoser Cellist nach Paris gekommen war, wußten schon die Zeitgenossen nicht mehr . . .

Freches, kritisches Kabarett

Offenbach hatte die Operette in Paris als freche Form kabarettistischen Musiktheaters etabliert. Hinter der Maske der Karikatur spukte die Kritik am Zeitgeist.

Johann Nestroy greift ein

Auch in Wien war Offenbach sogleich ein Star und die Operette als Vehikel modernen Zeitvertreibs bald die beliebteste Theaterform. Johann Nestroys Darstellung des Jupiter hatte Orpheus in der Unterwelt zum »kolossalen Triumph« werden lassen, vermeldeten die Zeitungen. Solange ein Nestroy sich noch um Übersetzung und Aktualisierung der Gesangstexte kümmerte, blieben auch politische Zwischen- und Untertöne erhalten.

Domestizierung

Aber das dauerte nicht lang. Die Operette wurde domestiziert. Anno 1872 soll es zur Begegnung der Großmeister der Unterhaltungsmusik gekommen sein: Offenbach selbst soll Johann Strauß animiert haben, Operetten zu komponieren. »Sie haben das Zeug hiefür«, zitieren ihn Augenzeugen.

Auf den musikalischen Tonfall verstand sich Strauß ja längst. Die dramaturgischen Bedenken, die er äußerte, mussten Ehefrau und Impresario erst hinwegreden. Es ist ihnen angesichts der zu erwarteten Einnahmen bekanntlich gelungen - und es entstand die gemütliche Spielart des Genres ohne jeglichen zeitkritischen Hintergrund.

Offenbach hätte sich, damals schon ein kranker Mann, das nicht träumen lassen, als er in seinem Wiener Stammwirtshaus, dem Goldenen Lamm, Hof hielt. Ein Kompagnon erinnert sich an »die unerschöpfliche Lebenskraft des Gehirns in diesem von der Arbeit, dem Genuss, der Sorge, dem Ruhm, den zahllosen schlaflosen Pariser Nächten ausgesogenen Körper. Wenn er so, umgeben von einem Kreise schöner Frauen und aufhorchender Männer, sprach in seinem Lehnstuhl oder Rollwägelchen zurückgelehnt, im Hochsommer mit Pelzen bedeckt, da sprudelte es mit gallischer Verve von seinen schmalen Lippen.«

Turteln mit der Kaiserin

Nicht ahnen konnte der Komponist damals, was die kommende Generation unter dem Eindruck der wienerischen Umformung der Operette aus dieser »gallischen Verve« - und aus seiner Person! - machen würde. Anno 1922 sollte Offenbach leibhaftig an der Seite der Kaiserin Eugenie auf die Bühne - eine Affäre mit ihr, oder zumindest eine mit der Herzogin von Orleans, dichtete man dem Komponisten zwecks sentimentaler Rührschinkenhandlung an. Ein bürgerliches Mädel trug aber den Sieg über die adelige Konkurrenz davon.

Nun hatte auch Offenbach sein Dreimäderlhaus. Gleich meldeten sich die Antisemiten zu Wort: »Was dem deutschen Schubert recht, ist dem Juden Offenbach billig«, ätzte das "Grazer Tagblatt".

Zur Galapremiere im Stadttheater in der Skodagasse dirigierte sogar Franz Lehár, damals unbestritten der führende Operettenmeister, zum glamourösen Auftakt eine Ouvertüre. Als Offenbach stand Louis Treumann auf der Bühne, der wenig später im Theater an der Wien wieder seine angestammten Lehar-Rollen spielte.

Karl Kraus, der Rächer

Wasser auf die Mühlen von Karl Kraus, der den Niedergang der Operette anprangerte: Das Unterhaltungstheater »einer Gesellschaft, die den Unsinn auf der Bühne nicht mehr ertragen kann«, sinke in seinem Streben nach der Bühnenherrschaft der reinen Vernunft »von der Höhe der Fledermaus - des Übels Urquell - über die Mittelmäßigkeit des Opernballs in die Niederung der Lustigen Witwe&aquo;. Und »der Grund von all dem: Die Welt wird vernünftiger mit jedem Tag; wodurch naturgemäß ihre Blödsinnigkeit immer mehr zur Geltung kommt.«

Dabei könnte sich in den »Staatsaktionen der Operette (...) alle Ungebühr in Politik und Verwaltung offenbaren«.
Also bot der Autor der Fackel in seinen legendären Leseabenden, in denen er jeweils sämtliche Rollen in ungeheurer Sprachkultur selbst rezitierte, nebst Aristophanes oder Shakespeare auch Offenbach; selbstverständlich mit aktuellen Zusatzstrophen für Couplets als Erinnerung an einstige hochpolitische Theatertage.

Max Reinhardt schlägt Karl Kraus

Für eine regelrechte Offenbach-Schwemme an den deutschsprachigen Theatern sorgte damals allerdings erst eine Ankündigung des mächtigsten Theatermannes jener Epoche: Max Reinhardt wolle, so hieß es, Offenbachs Pariser Leben verfilmen; und zum Silvester 1930 eine Neuinszenierung der Prinzessin von Trapezunt an seinem Berliner Haus herausbringen.

Unmittelbar nach der Meldung setzten nahezu sämtliche Bühnen Offenbach-Neuinszenierungen an, auch Graz und Wien spielten Die schöne Helenai> oder die Großherzogin von Gerolstein. Und an der Staatsoper studierte Clemens Krauss Hoffmanns Erzählungen ein, mit Alfred Piccaver in der Titelpartie. Und offenbar klang zumindest das eher nach dem Gusto von Karl Kraus als nach der Kitschmode - die Barkarole wirkte unter Krauss' Stabführung doch "ein wenig kühl", beschied ein Rezensent.

Aber da gingen die Meinungen vermutlich ebenso auseinander wie bei der Einschätzung des Komponisten und seiner Werke selbst. Wie meinte doch Eduard Hanslick 1901 nach der Erstaufführung des Hoffmann an der Hofoper? »Offenbachs ,Hoffmann' ist ohne Frage ein hochinteressantes Werk, und wer dessen lustige Operetten nicht kennt, mag es für sein bestes halten.«


↑DA CAPO