Die Vierte Symphonie
Die verschiedenen Spielarten der »Romatik« bei Bruckner.
Die Vierte sie seine »Romantische«, meinte Bruckner selbst. Tatsächlich gelten die Naturlaute des Symphonie-Beginns, vor allem aber das sogenannte »Jagd-Scherzo« als Inbegriff der musikalischen Romantik, als übertragung deutscher Opernromantik Webers und Wagners in den Konzertsaal.
Doch schon beim Scherzo muß sich der Musikfreund vergegenwärtigen, daß es sich bei diesem Satz um eine Ersatzvornahme handelt. Jenes Stück, das die »Romantische Symphonie« populärer gemacht hat als alle anderen Brucknerschen Werke, war in der Urfassung der Symphonie (1874) noch gar nicht enthalten.
Im Gegenteil: Das Scherzo der ersten Version hatte zwar auch den Charakter einer Jagd, allerdings tobte da eher Wotans wilde Jagd durch den Saal als die idyllische Genre-Szene, an die sich die Musikwelt so gern gewöhnt hat.
Die Mißerfolge, die Bruckner einstecken mußten, hatten ihn hellhörig gegen seine Ratgeber gemacht - und dazu geführt, an seine Es-Dur-Symphonie kräftig Hand anzulegen. Der Ersatz des dritten Satzes ist nur ein Teil der Geschichte.
Georg Tintner hat eine klangschöne Wiedergabe dieser »Volksfest«-Fassung des Finalsatzes mit dem Royal Scottish Orchestra aufgenommen und auf CD mit der »Studiensymphonie« in f-Moll veröffentlicht. (Naxos)
Der Sensationserfolg der Uraufführung gab Bruckner und seinen Ratgebern recht: Die Letztfassung ist weitaus weniger kantig und kompromißlos als die ursprüngliche Version, mehr an Richard Wagners Klangästhetik orientiert.
Daß Bruckner nie ganz »absoluter« Musiker war, sondern stets zumindest in Bildern, wenn nicht in »Programmen« dachte, bestätigen inhaltliche Assoziationen, die er für den Beginn seiner Vierten Symphonie Freunden mitteilte:
Seinem Schüler Viktor Christ vertraute Bruckner über das Finale an, es schildere »die Schauer der Nacht, die nach einem schön verlebten Tag hereinbrechen«. Der Choral am Ende der Symphonie sei »der Schwanengesang der Romantik«.
Wobei manche Interpreten auch in der von Leopold Nowak edierten Partitur, orientiert an des Komponisten »letztem Willen« (1888/89) mit dem neuen Scherzo (Bruckner: »Hasenjagd« - und zum idyllischen Ländler-Trio: »Rehbratel«), noch genügen musikalisch-aufrüherisches Potential entdecken konnten.
Aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist Otto Klemperers erste Schallplattenaufnahme mit den Wiener Symphonikern (VOX), in der sich die Dinge in der Introduktion zum Finale überschlagen zu scheinen: Einen derart dramatischen Ton findet kein zweiter Dirigent.
Auch Klemperer selbst rundet die Klänge in seiner klassisch gewordenen Einspielung mit dem Philharmonia Orchestra merklich ab.
Die vielleicht in sich geschlossenste Darstellung der erfolgreichen dritten Fassung des Werks bot Bruno Walter mit seinem Columbia Orchestra (CBS), er versteht sich auf den romantischen Erzählton und die dramatische Entfaltung gleichermaßen.
Absolut stimmig auch Eugen Jochums Einspielung mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, die auch in der verdienstvollen Bruckner-Gesamtaufnahme dieses Dirigenten (DG) enthalten ist. Hier fließt die Musik in einer Natürlichkeit, als wäre Bruckner-Interpretation das Einfachste auf der Welt . . .
Wie der sprichwörtliche Schnabel gewachsen ist, spielen natürlich die Wiener Philharmoniker diese Musik. Ihre Aufnahme unter Karl Böhms Leitung (Decca) fängt den spezifischen Klangstil, den der Komponist wohl auch im Ohr hatte, am besten ein. Zwar ist das Orchesterspiel Jahrzehnte später unter Claudio Abbado (DG) noch einmal sauberer und leuchtend schön, doch die formale Übersicht, die Böhm wahrt, bleibt Abbado vollkommen verwehrt.
Simone Young hat alle Bruckner-Symphonien jeweils in den ersten vom Komponisten erstellten Partitur-Fassungen mit der Hamburger Philharmonie aufgenommen. Eine verdienstvolle Edition, die Bruckners ungebrochene Entwicklungslinie bis zur Sechsten Symphonie erleben läßt.
Doch schon beim Scherzo muß sich der Musikfreund vergegenwärtigen, daß es sich bei diesem Satz um eine Ersatzvornahme handelt. Jenes Stück, das die »Romantische Symphonie« populärer gemacht hat als alle anderen Brucknerschen Werke, war in der Urfassung der Symphonie (1874) noch gar nicht enthalten.
Im Gegenteil: Das Scherzo der ersten Version hatte zwar auch den Charakter einer Jagd, allerdings tobte da eher Wotans wilde Jagd durch den Saal als die idyllische Genre-Szene, an die sich die Musikwelt so gern gewöhnt hat.
Die Mißerfolge, die Bruckner einstecken mußten, hatten ihn hellhörig gegen seine Ratgeber gemacht - und dazu geführt, an seine Es-Dur-Symphonie kräftig Hand anzulegen. Der Ersatz des dritten Satzes ist nur ein Teil der Geschichte.
Das Finale
Das große Finale, der bis dahin längste Schluß-Satz einer Bruckner-Symphonie, mußte ebenfalls kräftige Kürzungen und Veränderungen über sich ergehen lassen. Es liegt in drei verschiedenen Varianten vor, die inhaltlich vor allem durch das zerklüftete, jäh abstürzende Hauptthema geeint werden, das in jeder Version auf andere Art eingeleitet wird. Vier Jahre nach Entstehung der ersten Fassung der Symphonie hat Bruckner dieses Finale einer eingehenden Revision unterzogen und daraus einen vielleicht als selbstdändige Tondichtung gedachten Satz namens Volksfest gemacht (1878).Georg Tintner hat eine klangschöne Wiedergabe dieser »Volksfest«-Fassung des Finalsatzes mit dem Royal Scottish Orchestra aufgenommen und auf CD mit der »Studiensymphonie« in f-Moll veröffentlicht. (Naxos)
Der Sensationserfolg der Uraufführung gab Bruckner und seinen Ratgebern recht: Die Letztfassung ist weitaus weniger kantig und kompromißlos als die ursprüngliche Version, mehr an Richard Wagners Klangästhetik orientiert.
Daß Bruckner nie ganz »absoluter« Musiker war, sondern stets zumindest in Bildern, wenn nicht in »Programmen« dachte, bestätigen inhaltliche Assoziationen, die er für den Beginn seiner Vierten Symphonie Freunden mitteilte:
Mittelalterliche Stadt – Morgendämmerung – von den Stadttürmen ertönen Morgenweckrufe – die Tore öffnen sich – auf stolzen Rossen sprengen die Ritter hinaus ins Freie – der Zauber des Waldes umfängt sie – Waldesrauschen, Vogelgesang – und so entwikkelt sich das romantische Bild weiter.Nicht minder pittoresk-naiv nimmt sich seiner Verweis auf den zweiten Satz der Symphonie aus, der seltsam querzustehen scheint gegen den trauermarschartigen Puls der Musik, könnte aber gleichzeitig als Hinweis auf eine fehlgeleitete Aufführungs-Tradition gedeutet werden:
Im zweiten Satz will ein verliebter Bub ›Fensterln‹ gehn, wird aber nicht eingelassen.Beim Eintritt des zweiten Themas (in den Bratschen) schreibt der Komponist in der Partitur der Erstfassung ausdrücklich: »Ständchen«.
Seinem Schüler Viktor Christ vertraute Bruckner über das Finale an, es schildere »die Schauer der Nacht, die nach einem schön verlebten Tag hereinbrechen«. Der Choral am Ende der Symphonie sei »der Schwanengesang der Romantik«.
Wobei manche Interpreten auch in der von Leopold Nowak edierten Partitur, orientiert an des Komponisten »letztem Willen« (1888/89) mit dem neuen Scherzo (Bruckner: »Hasenjagd« - und zum idyllischen Ländler-Trio: »Rehbratel«), noch genügen musikalisch-aufrüherisches Potential entdecken konnten.
Aufschlußreich in diesem Zusammenhang ist Otto Klemperers erste Schallplattenaufnahme mit den Wiener Symphonikern (VOX), in der sich die Dinge in der Introduktion zum Finale überschlagen zu scheinen: Einen derart dramatischen Ton findet kein zweiter Dirigent.
Auch Klemperer selbst rundet die Klänge in seiner klassisch gewordenen Einspielung mit dem Philharmonia Orchestra merklich ab.
Die vielleicht in sich geschlossenste Darstellung der erfolgreichen dritten Fassung des Werks bot Bruno Walter mit seinem Columbia Orchestra (CBS), er versteht sich auf den romantischen Erzählton und die dramatische Entfaltung gleichermaßen.
Absolut stimmig auch Eugen Jochums Einspielung mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, die auch in der verdienstvollen Bruckner-Gesamtaufnahme dieses Dirigenten (DG) enthalten ist. Hier fließt die Musik in einer Natürlichkeit, als wäre Bruckner-Interpretation das Einfachste auf der Welt . . .
Wie der sprichwörtliche Schnabel gewachsen ist, spielen natürlich die Wiener Philharmoniker diese Musik. Ihre Aufnahme unter Karl Böhms Leitung (Decca) fängt den spezifischen Klangstil, den der Komponist wohl auch im Ohr hatte, am besten ein. Zwar ist das Orchesterspiel Jahrzehnte später unter Claudio Abbado (DG) noch einmal sauberer und leuchtend schön, doch die formale Übersicht, die Böhm wahrt, bleibt Abbado vollkommen verwehrt.
Die erste Fassung
Die Urfassung des Werks muß aber gehört haben, wer den Werdegang des Symphonikers Bruckner mitverfolgen möchte. Wie auch immer man zur Letztfassung der »romantischen Symphonie« stehen mag, sie stellt eine arge Verfälschung dessen dar, was ursprünglich geplant war. Die wilden, ungezügelten Gesten der ersten Version verraten uns den »modernen« Komponisten, den »Zukunftsmusiker«, der im übrigen das Hauptmotiv, das eingangs im Horn ertönt, konsequent und in kühner Durchführungstechnik durch alle Sätze hindurch verfolgt - der Beginn des Scherzos ist in der ersten Fassung der Symphonie tatsächlich so etwas wie ein Satyrspiel auf den Symphoniebeginn - eine Assoziationsmöglichkeit, die im beliebten »Jagdscherzo« nicht mehr gegeben ist.Simone Young hat alle Bruckner-Symphonien jeweils in den ersten vom Komponisten erstellten Partitur-Fassungen mit der Hamburger Philharmonie aufgenommen. Eine verdienstvolle Edition, die Bruckners ungebrochene Entwicklungslinie bis zur Sechsten Symphonie erleben läßt.