Die Streichquintette
Wie sooft bei Brahms, sind die beiden Streichquintette paarweise entstanden: Beide spiegeln eine für diesen Komponisten ungewöhnlich positive, ja fröhliche Stimmung wider: Hinter jeden einzelnen Satz des Quintetts in F-Dur, das 1882 in einem großen kompositorischen Atemzug in Bad Ischl entstand setzte er die Datumszeile:Frühling 1882.So klingt denn auch die Musik. Ebenso »aufgeräumt« - um ein gern gebrauchtes Brahms-Diktum zu verwenden - ist die Stimmung im ebenfalls in Bad Ischl komponierten G-Dur-Quintett, das erstaunlicherweise trotz (oder vielleicht gerade wegen seiner hellen Klänge) zu Brahms' letzten Werk werden sollte; wenn nicht das Schicksal es (für die Nachwelt: glücklicherweise) anders gewollt hätte . . .
Die Vorgeschichte der beiden wunderbaren Werke ist allerdings länger. Ein Streichquintett gedachte Johannes Brahms bereits früher zu komponieren. Ende August 1862 hatte er ein Werk in dieser Besetzung an seinen Lebensmenschen Clara Schumann gesandt - genauer: die ersten drei Sätze eines viersätzig angelegten für zwei Geigen, Bratsche und zwei Violoncelli. Clara reagierte begeistert, nachdem sie die Partitur studiert hatte und fragte nach dem vierten Satz. Auch Joseph Joachim bekam die Partitur zu sehen und war voll des Lobes über die Komposition, hatte aber Bedenken wegen der - übrigens auch von Schubert gewählten - Besetzung mit zwei Celli, was dem Werk einen allzu dunklen Klang bescherte. Vielleicht war es diese Kritik, die den skrupulösen Brahms zaudern ließ. Wie so viele Werke davor, fand der erste Quintett-Versuch keine Gnade vor seinen Augen und verschwand auf Nimmerwiedersehen.
Es sollte mehr als zwei Jahrzehnte dauern, bis Brahms erneut ein Streichquintett in Angriff nahm - und vielleicht ist es der Anmerkung Joseph Joachims zu verdanken, daß er diesmal nicht die Schubert-, sondern die Mozart-Besetzung wählte, mit nur einem Cello und zwei Bratschen.
Das Werk enstand in Bad Ischl, wo die große Gesellschaft des kaiserlichen Österreich in der Nähe ihres Monarchen auf Sommerfrische weilte. Formal besonders ist in dieser Komposition der Mittelsatz in dem Adagio und Scherzo miteinander verknüpft scheinen: Die Adagio-Melodie erscheint dreimal in jeweils leicht veränderter Gestalt und umschließt den zweimaligen Auftritt eines scherzoartigen »Sicilianos«, das beim zweiten Mal übrigens ebenfalls in veränderter Form erscheint, sodaß der Satz auch als eine fantasievolle Ausgabe der bei Haydn oder auch Beethoven beliebten »Doppelvariation« gedeutet werden könnte.
Übrigens verwendet Brahms für den Adadgio-Teil des Mittelsatzes eine Studienarbeit über die barocke Sarabande aus dem Jahr 1855, also eine Studienarbeit aus der Hamburger Zeit!
Das kraftvolle G-Dur-Quintett (op. 111) kündigte Brahms seinem Verleger Simrock tatsächlich als seine letzte Komposition an. Mit einem so himmelstürmend-positiven Werk wollte er sich von der Welt verabschieden. Er lernte dann noch den Meiniger Klarinettisten Mühlfeld kennen und überlegte es sich anders. Eine der charmantesten Pointen der Musikgeschichte. Charmant ist allerdings auch der Gedanke, der für seine griesgrämige Art berüchtigte Johannes Brahms hätte mit einem Quintett in G-Dur Adieu sagen wollen. Keine Spur von Abschiedsschmerz in dieser Musik! Im Gegenteil. Das aus wogenden Tremoli der übrigen Instrumente aufsteigende Cello-Thema gehört zu den mitreißendsten Einfällen der musikalischen Romantik. Brahms hatte es als Hauptthema für seine Fünfte Symphonie vorgesehen und leitet nun damit einen der energisschsten Sätze seines Oeuvrekatalogs ein. Das folgende Adagio fand Joseph Joachim »tiefsinnig, knapp« - es ist wiederu in Variationsform gehalten. Im Finale schwingt - nicht zum erstenmal bei Brahms (und auch nicht zum letztenmal - das Klarinettenquintett stand noch aus!) - magyarischer Geist mit: Die Musik hat viel mit dem Csárdás zu tun, wie Brahms ihn auch in seinen populären Ungarischen Tänzen so raffiniert stilisiert hatte.