Ignaz Pleyel

1857-1831

In Paris kennt jeder Kulturiniteressierte seinen Namen, denn einer der wichtigsten Konzertsäle ist nach ihm benannt - Ignaz Pleyel war, Kenner wissen das, Frankreichs bedeutendster Klavier-Fabrikant. Pleyel-Flügel waren ein Statussymbol wie anderswo jene von Bösendorfer oder Steinway.

Doch Pleyel war zu Zeiten auch einer der berühmtsten Komponisten seiner Generation. Daran erinnerte sich schon wenige Jahre nach seinem Tod kaum noch ein Musikfreund. Chronist Francois-Joseph Fétis schrieb:

Für zwei Jahrzehnte ließen sich sämtliche Liebhaber und professionelle Musiker von seinem Genius inspirieren; und an den abgeschiedensten Orten kannte man seine Musik, die ... in verschiedsnsten Arrangements verbreitet ungeübte Studenten ebenso in ihren Bann zog wie vollendete Interpreten.
Der Ruhm Pleyels drang in den letzten Jahren seines Lebens bis in die USA. Dort gründete man 1822 eine Pleyel-Gesellschaft, die sich zum Ziel setzte, »den Geschmack des Publikums zu veredeln«.

Was diesen »Geschmack« betrifft, hatte in Europa damals längst Beethoven Pleyel den Rang abgelaufen - Pleyel galt als Nachfolger Haydns und Mozarts, komponierte nach deren stilistischem Muster als die Musikgeschichte bereits andere Saiten aufgezogen hatte. Im Vergleich zu Beethoven und der aufkeimenden Romantik, schienen Pleyels Symphonien und Konzerte wie leichtgewichtige »Divertimenti«, sie konnten, wie E. T. A. Hoffmann zynisch kommentierte,
die dem Zuschauer vergönnte Ruhe und Erholung nicht im mindesten stören.

Genie aus dem Weinviertel

Pleyel war, wie der Vorname verrät, kein Franzose. In seinem Geburtsort Ruppersthal im niederösterreichischen Weinviertel betont man den Namen auch nicht auf der zweiten, sondern auf der ersten Silbe. Wie den Namen seines adligen Förderers, des Grafen Ladislaus Erdödy, der sich des talenterten Sohnes des Dorfschulmeisters annimmt und ihn aus der Obhut Johann Baptist Wanhals in Wien zu Fürst Esterhazy nach Eisenstadt empfiehlt, damit er beim dortigen Hofkapellmeister Joseph Haydn seine Ausbildung abschließen kann.

Der damals berühmteste Komponist der Welt steht also Pate für den 35 Jahre Jüngeren, der ähnlich produktiv werden sollte wie sein Vorbild. Wie Mozart wird Pleyel 41 Symphonien hinterlassen, dazu einige Konzertante Symphonien, etliche Solokonzerte und über 100 kammermusikalische Kompositionen, die bald in ganz Europa - oft in abenteuerlichen Arrangements - verbreitet waren.

Noch unter Haydns Anleitung hat Pleyel in Esterháza sein erstes Bühnenwerk herausgebracht, die Marionettenoper Die Fee Urgele oder: Was den Damen gefällt. Das Werk des 19jährigen ist so erfolgreich, daß es in Wien nachgespielt wird.

Das Talent bleibt also nicht verborgen. Christoph Willibald Gluck beobachtet den Reifeprozeß des jungen Kollegen genau und gibt ihm 1776 den Rat zur Mäßigung und weisen Beschränkung mit auf den Weg:

Junger Freund, jetzt da Sie gelernt haben, Noten aufs Papier zu setzen, bleibt Ihnen nur noch zu lernen, wie man einige davon wieder tilgt.

Graf Erdödy macht den Zwanzigjährigen zu seinem Hofkapellmeister in Preßburg. In dieser Zeit entstehen die ersten großen Instrumentalwerke Pleyels, die wegweisend für seine Entwicklung werden, Symphonien in c-Moll (Benton-Verzeichnis 121) und A-Dur (122) haben sich erhalten, ebenso ein Cellokonzert in C-Dur. Der Graf entsendet seinen Kapellmeister nach damaligem Brauch zu Studienzwecken nach Italien, wo sich Pleyel mit den führenden Opernmeistern Paesiello und Cimarosa austauschen kann, und es bis zu einer Uraufführung im Teatro San Carlo in Neapel bringt. Für die Namenstagsfeierlichkeiten für König Ferdinand IV., der mit einer Tochter Kaiserin Maria Theresias, Maria Karolina, verheiratet ist, komponiert er als Auftragswerk den Vierakter Iphigenie in Aulis, der es auf 18 Reprisen bringt.

Mozarts Empfehlung

In Wien spielt man Pleyels Musik seit den frühen Achtzigerjahren und bringt erste Drucke heraus, die sich rasch verbreiteten. Mozart empfiehlt 1784 seinem Vater Leopold ausdrücklich Pleyels Opus 2, eine Serie von sechs Streichquartetten:

Dann sind dermalen Quartetten heraus von einem gewissen Pleyel; dieser ist ein Scolar von Joseph Haydn. Wenn sie selbige noch nicht kennen, dann suchen Sie sie zu bekommen; es ist der Mühe werth. Sie sind sehr gut geschrieben und sehr angenehm. Er wird seinen Meister gleich heraus hören. Gut und glücklich für die Musik, wenn Pleyel seiner Zeit imstande ist, uns Haydn zu remplacieren.

Kein Wettstreit mit Haydn

Das sehen auch die findigen Konzertveranstalter in London so, die den Ruhm des jungen Mannes gegen den des führenden Meisters Haydn auszuspielen vesuchen: Als ruchbar wird, daß Johann Peter Salomon Haydn in der Saison 1791/92 für ein Gastspiel in der englischen Hauptstadt gewinnen hatte können, engagiert Salomons Konkurrent Wilhelm Cramer kurzerhand Pleyel, um dem Publikum einen Gegenpapst zu bieten, dessen Werke sich im vergangenen Jahrzehnt rasch verbreitet hatten.

Man scheut vor unschönen PR-Aktionen nicht zurück und versucht, Haydn als längst schwach gewordenen Meister zu denunzieren, der nur noch von seinem Rum lebe. Doch Pleyel denkt gar nicht daran, sich als Gegner seines Lehrers instrumentalisieren zu lassen. Nicht umsonst hat er die von Mozart empfohlenen Quartette op. 2 mit einer dankbaren Widmung an den Lehrer versehen:

Sei quartetti composti e dedicati al celeberrimo e stimatissimo fu suo Maestro
il signor Gius. Haydn
in segno di perpetua gratitudine.
Der »ewig dankbare« Pleyel und Haydn demonstrieren vor dem Londoner Publikum demonstrativ Einigkeit - was von den Kennern ebenso als Sensation gefeiert wird als hätte der erwartete Komonistenkrieg stattgefunden.

Revolution in Frankreich

Für Pleyel war der Ruf nach London gerade recht gekommen. Er hatte Ende der Achtzigerjahre eine Stelle als Kapellmeister am Straßburger Münster angetreten, die angesichts der Säkularisierungswelle im Zuge der revolutionären Wirren nicht mehr als attraktiv - wenn nicht gar als gefährlich - gelten konnte.

Als Pleyel mit einem kleinen Vermögen ins Elsaß zurückkehrt, ist die Welt eine andere geworden. Den Posten des Domkapellmeisters von Straßburg gibt es nicht mehr, aber er ist wolhabend genug, um das Gut Ittenweiler, ein Anwesen am Rand der Vogesen zu erwerben, auf dem er freilich nicht in Ruhe leben kann - die Revolutionsgarden sind stets auf der Suche nach verdächtigen Elementen, die während des Ancien régime Karriere gemacht haben. Es ist ein unbestätigtes Gerücht, daß sich Pleyel nur seiner Hinrichtung entziehen kann, indem er die monströse, mehrere Stunden dauernde Kantate - La Revolution du 10 Aout ou le Toscin allégorique, 1792 - komponiert. Jedenfalls steht der »e;verdächtige Österreicher« eine Zeitlang unter Hausarrest. Die Geschichte, Pleyel sei in Wahrheit auch Komponist der Marseillaise, scheint zwar völlig aus der Luft gegriffen - aber ihr Ursprung ist erklärbar: Der Komponist war mit Marseillaise-Autor Claude-Joseph Rouget de Lisle befreundet. Und Rouget hatte tatsächlich den Text zu Pleyels 1791 entstandener Hymne à la Liberté anläßlich der Proklamation der neuen Straßburger Verfassung gedichtet!

Vom Musiker zum Fabrikanten

Aber Pleyel kann seine Laufbahn in der aufkeimenden napoleonischen Ära fortsetzen, wenn er auch umsatteln muß: Aus dem Komponisten wird nach und nach ein Musikverleger, der sich in Paris niederläßt und kaum noch Gelegenheit findet, seinen eigenen Werk-Katalog zu bereichern. Stattdessen publiziert er in praktischen Ausgaben die Musik seiner Kollegen. Die Verlagstätigkeit beginnt mit der Herausgabe von vier Symphonien Joseph Haydns und sämtlicher Haydn-Streichquartette. Pleyel ist vor allem der Erfinder der sogenantnen Taschenpartitur und bekommt nach der Publikation der ersten »Leseausgaben« von Werken seines Lehrer dessen höchstes Lob. Im Dezember 1802 schreibt Haydn

Ich bin Ihnen für die ungewöhnlich schöne Ausgabe der Quartette, die Sie mir über Herrn Pichl geschickt haben, sehr dankbar: wegen ihrer schönen Gravur, dem Papier – und die Tatsache, dass sie so korrekt sind – sowie ihr allgemeines Aussehen, wird man sich ewig deswegen an Sie erinnern.

Als Verleger auch in Wien Fuß zu fassen, gelingt Pleyel nicht. Dafür erweitert er das Angebot in Paris bald um eine Klavierfabrik, deren Blütezeit nach Ende der napoleonischen Kriege anbrechen wird. Pleyels Sohn Camille führt sie nach dem Rückzug des Vaters auf ein Landgut nahe Paris weiter. er hat als Bub bei einem Wien-Besuch mit dem Vater noch Haydn kennenlernen und Beethoven spielen hören dürfen.

Die Eröffnung der Salle Pleyel in Paris darf der Ignaz Pleyel, siebzigjährig, übrigens noch erleben. Er stirbt ein Jahr danach in der französischen Metropole, die zu seiner Wahlheimatstadt geworden war.

Die Werke

Nicht nur in seinem Kompositions-Stil, auch was die editorische Praxis angeht, war und bliebe Pleyel eher ein Zeitgenosse Mozarts als ein Mann der neuen Ära, deren Führungsfigur eindeutig Beethoven war: Mit Beethoven begann sich ein Werk-Begriff durchzusetzen, der keine Eingriffe von außen dultete. Nur das Wort des Künstlers galt als sakrosankt. Der Schöpfer eines Werks überwachte dessen Herausgabe, bestimmte sogar die Opus-Nummer.

Bei Haydn und Mozart war das noch völlig anders. Auch Pleyels Werke erschienen in - oft erstaunlich voneinander abweichenden Drucken in verschiedenen Verlagen in diversen europäischen Städten. Pleyel selbst druckte dann eigene Werke in neuer Numerierung und unter Umständen in neu bearbeiteter Form.

Angesichts der langen Unterbrechung, die in der Aufführungsgeschichte eintrat - anders als die Musik der großen Klassiker war die Pleyels lange vergessen - bedeutete das für die Praxis ebenso wie für die Wissenschaft eine schwer zu überwindende Hürde bei der Rezeption.

Erst die akribische Forschungsarbeit der Musikologin Rita Benton brachte Licht in die Sache: Sie veröffentlichte 1977 einen übersichtlichen Werkkatalog, der alle Konkordanzen, Doppel- und Dreifach-Numerierungen auflistet.

Den Symphonien Pleyels zu begegnen, bedeutete für die Zeitgenossen stets auch ein intelletuelles Vergnügen, denn wie sein Lehrmeister Haydn verfügte auch er über eine reiche Fantasie, die es ihm leicht gemacht hatte, das Sonaten-Schema immer aufs neue mit originellen, überraschenden Wendungen auszustaffieren. Das zeigt sich bereits in seinen frühen, noch unter Haydns Obhut entstandenen Symphonien und macht noch die späten, unter dem Einfluß der von Johann Christian Bachs einschlägigen Werken stehenden Londoner Mode geformten »Konzertanten Symphonien« die Pleyel im Zuge des Wiederaufbaus des Pariser Musiklebens kurz nach 1800 an der Seite des Komponisten-Kollegen Giuseppe Maria Cambini (1746 - 1822) um originelle Beiträge bereicherte, obwohl die Beliebtheit dieses Genres anderswo längst abgeflaut war. (Haydn mußte in London noch während seines ersten Aufenthalts auf vielfaches Verlangen eine (seine einzige) Sinfonia concertante schreiben, bei seinem zweiten Besuch, 1794/95, hatte es an einem solchen Werk kein Interesse mehr gegeben.) Pleyels große Konzertante Symphonie in D-Dur von 1802 (im Bentonverzeichnis die Nr. 140), eine der letzten Vertreterinnen ihrer Gattung, präsentiert sich als gelungener Verschnitt aus großem Solokonzert (Violine, Klavier) und Symphonik - vor allem überrascht der Mittelsatz, in dem die Solisten ein elegantes Menuett präsentieren, das wie ein Refrain immer wiederkehrt, von fantasievollen Variationen und gänzlich kontrastierenden Abschnitten unterbrochen. Das abschließende, ebenfalls rondoartig gebaute Finale überrascht dann mit harmonischen Pointen - Pleyel hatte seine originelle Gestaltungskraft auch in den späten Werken nicht verloren. Den Weg in die »neue Zeit« ging er freilich nicht mehr als Komponist mit...

↑DA CAPO

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