Symphonie Nr. 95 c-Moll
1791
Uraufführungsort: London
Allegro moderato Andante cantabile Menuett Finale. Vivace
Von der Tatsache, daß dieses Werk das einzige im Rahmen der Londoner Symphonien ist, das in Moll steht, sollte man keine Rückschlüsse auf den musikalischen Gehalt ziehen. Der dramatische Gestus kehrt sich schon im zweiten Teil des Kopfsatzes nach C-Dur.
Eine kräftige Moll-Eintrübung bringt dann noch einmal die zweite der drei Variationen des Es-Dur-Themas im Andante: Da mischen sich krafvtolle Orchesterschläge ins Geschehen, das in der abschließenden Variationen sehr frei ausläft, - mit etlichen Zitaten eines pochenden Themen-Fragments, das schon die Moll-Variation beherrscht hat und im dritten Satz zum Hauptmotiv des Menuett-Themas mutiert. Ein Solo-Cello dominiert dann - wie schon die erste der Andante-Variationen - das zum ungewöhnlich dramatischen c-Moll-Menuett lyrisch kontrastierende C-Dur-Trio.
Das Finale kennt dann knapp vor Schluß noch eine kräftige Moll-Irritation, ist aber im übrigen beherrscht von einem geistreichen, immer wieder kontrapunktisch verdichteten Spiel, das anspruchsvoller als manche Kehraus-Finali daherkommt und auf diese Weise die so ernsthaft beginnende Symphonie abrundet. Das Tempo des vierten Satzes ist daher zwar lebhaft, aber nicht rasant.
Von den Londoner Symphonien lag diese in der Publikumsgunst stets weit abgeschlagen hinter beliebten Stücken wie der »Symphonie mit dem Paukenschlag« oder der »Mirakel-«Symphonie. Das liegt vermutlich nicht nur an der herben Moll-Tonart, sondern vor allem an der elaborierten Kontrapunktik, die - namentlich in den - vielleicht nach dem Vorbild von Mozarts Jupiter-Symphonie - fugierten Passagen im Final-Satz mehr für den Geist als das Herz bereit zu halten scheint. Doch erzählt Haydn auch hier hintergründige »Geschichten«: Faszinierend für den aufmerksamen Hörer, wie das heftig losfahrende Kopfmotiv des ersten Satzes durch die Dialoge der beiden kotrastierenden Themen in der Durchführung langsam »entmachtet« wirde, sodaß die Reprise auf die fünf trotzig gestoßenen Töne einfach verzichten kann. Das Seitenthema wartet nunmehr mit einer Solovioline auf - und zuletzt hellt sich das Geschehen vollends auf: Der Satz schließt in strahlendem C-Dur. Wer das in einer viersätzigen c-Moll-Symphonie für verfrüht hält, darf nicht vergessen: Beethovens Opus 67 war noch lange nicht komponiert...