Symphonie Nr. 72 D-Dur
1765/66?
Uraufführungsort: Eisenstadt
Allegro Andante Menuett Andante - Presto
Einiges an dieser Komposition deutet darauf hin, daß es sich bei der Numerierung im Hobokenverzeichnis um einen Irrtum handeln muß. Die Faktur der Musik ist divertimentohaft, das Finale ein Variationssatz. Die Verwendung von vier Hörnern läßt überhaupt nur eine Entstehungszeit von 1763 oder die Wintersaison 1765/66 zu. Nur zu diesen Zeitpunkten standen dem Vizekapellmeister Haydn in der Esterházy-Kapelle vier Hörner zur Verfügung, einer davon war übrigens Carl Franz, der bald zum Virtuosen auf dem Lieblingsinstrument des Fürsten Esterházy, dem Baryton wurde.
Zeittypisch ist die Verbreitung von Stimmensätzen, in denen die dritte und vierte Hornstimme Trompeten zugewiesen wird, um das Stück für anders besetzte Orchester (zum Teil auch mit Pauken, die im Original nicht vorgesehen sind) spielbar zu machen
Die Hornstimmen sind ungemein virtuos und solistisch geführt. Der erste Hornist übernimmt gleich nach den ersten Takten der Exposition des Hauptthemas durch die Streicher die Führung. Immer wieder treten die Hörner mit den Oboen und den Streichern in der Folge in Dialoge ein.
Der große Haydn-Forscher H. C. Robbins Landon imaginierte sich das Werk als Tafelmusik für das Frühstück nach einer fürstlichen Jagd, wozu die Hornsignale freilich wunderbar passen würden. Daß die erste Hornstimme bis zum hohe Fis geführt wird, verstärkt den Eindruck, daß es sich hier jedenfalls um eine PR-Stück für die fürstliche Kapelle gehandelt haben muß.
Im Ton einer Sinfonia concertante bietet dann auch der langsame Satz Gelgenheit zu solistischen Auftritten: Diesmal für die Solovioline und die Flöte, die im ersten Satz geschwiegen hatte. Wir kennen sogar die Namen der Uraufführungs-Musiker: Luigi Tomasini, der als Kammerdiener in fürstlichen Dienst gekommen war, fungierte als Haydns virtuoser Konzertmeister, Franz Sigel der - seiner Qualität bewußte und zu Zeiten recht renitente - Flötist, der hier nebst solitischen Auftritten auch ein kurzes Duett mit Tomasini zu absolvieren hatte. Selbst der Kontrabaß darf in dieser Symphonie aus seiner untergeordneten Rolle heraustreten.
Das Menuett, in dem sich die Hörner zurückmelden, überrascht mit Echowirkungen und einem Trio, das - wie Freiluftmusik - ausschließlich für Bläser gesetzt ist.
Das Finale ist eine Folge von sechs Variationen über einen staccato vorgetragenen Marsch. Die Variationen werden wiederum jeweils von Soloinstrumenten dominiert. Unter anderem schlägt (Variation II) auch die große Stunde des Cellisten - es war Joseph Weigel, ein meisterlicher Spieler, für den Haydn sein erst spät, Mitte des XX. Jahrhunderts wieder aufgefundenes Cellokonzert in C-Dur komponierte. Auch für seinen Kontrabaßisten hat Haydn ja angeblich ein Konzert komponiert, das allerdings sehr zum Ärger der nicht gerade reich mit Sololiteratur beschenkten Kontrabaß-Virtuosen verloren ist. In dieser Symphonie immerhin dominiert das Streicher-Schwergewicht die Variation Nr. IV. in der letzten (Nr. VI) dominieren hingegen Oboen und Hörner im Tonfall des Menuett-Trios. Danach leitet eine Kadenz in einen regelrechten Wirbelwind von einem Presto über, mit dem die Symphonie furios endet. Kehraus hieß ein solches Finale auf dem Tanzboden zu jener Zeit, --vielleicht auch bei Jagdgesellschaften?