Haydns Streichquartette

»So mußte ich original werden«, bekannte Joseph Haydn einmal, als man ihn nach seiner künstlerischen Entwicklung befragte. Als Hofkomponist des Fürsten Esterházy fristete Haydn sein Leben abgeschieden von der »großen, weiten Welt« in Eisenstadt und Esterháza, widmete sich der Opernarbeit und schuf - sozusagen nebenbei - in genialer Experimentier-Arbeit die klassischen Formen Symphonie und Streichquartett.

Haydn ist als der »Erfinder der Symphonie und des Streichquartetts« in die Musikgeschichte eingegangen. Und wenn das, so simpel gesagt, natürlich nicht stimmt, weil es vor Haydn schon Symphonien und Werke in der Besetzung zwei Violinin, Bratsche und Violoncello gegeben hat, so läßt sich doch nicht leugnen, daß Haydn jenen Typus perfektioniert hat, der für mehr als zwei Jahrhundert als verbindlich gegolten hat: An Haydn haben alle kommenden Generationen maßgenommen, Mozart zuerst, Beethoven in der Folge. Alles weitere war, grob gesprochen, Kommentar, Auslegung . .  .

Der Baron Fürnberg

Einen besonderen Platz in der Kulturgeschichte darf in dieser Causa übrigens ein gewisser Baron Fürnberg beanspruchen, der für musikalische Veranstaltungen auf seinem Gut namens Weinzierl in der Nähe von Wien bei Haydn Stücke in der Besetzung
2 Violinen
Bratsche
Violoncello
bestellte. Das wurden die Serien von Divertimenti, die unter den Opusnummern 1 und 2 herauskamen - also die ersten offiziell gedruckten, wenn auch keineswegs die chronologisch ersten Kompositionen Joseph Haydns. Dessen Karriere begann also mit Quartetten; und dank der zahlreichen Stücke für die Quartettbesetzung, für die vereinzelt natürlich bereits lange vor der »Bestellung« aus Weinzierl komponiert worden war, wurde Haydn zum »Vater des Streichquartetts«.

In den auf die ersten, noch keineswegs formal einheitlichen Divertimenti folgenden Quartetten - die Serien op. 9 und op. 17 - entwickelte der Komponist tatsächlich eine (an die gleichzeitig entstandenen Symphonien anknüpfende) höchst elaborierte Tonsprache und bald auch jenes viersätzige formale Konzept, das in der Folge für mehr als 100 Jahre vorbildlich bleiben sollte und zum stilbildenden architektonischen Grundgerüst der abendländischen Musik werden sollte.

Von op. 9 zu op. 33

Mit den epochalen Quartetten op. 9 steht für Haydn der klassische Zyklus fest: Menuett an zweiter, langsamer Satz an dritter Stelle, und beide umgeben vom kantablen Moderato als Kopfsatz und vom lockeren Presto als Finale
Haydn selbst hat nicht geahnt, welche Blüten die Gattung des Divertimento für Quartettbesetzung treiben würde, als er seine ersten Werke in dieser Besetzung vorlegte: Die Serien op. 1 (gedruckt 1771 in London) und op. 2 sind noch fünfsätzige Stücke losen Zusammenhalts, mit ihren zwei Menuetten irgendwie auch Nachfahren der barocken Suite. Unterhaltungsmusik im besten Sinne, jedenfalls.

Eine Serie op. 3, die in Haydns eigenem Verzeichnis nicht aufscheint und vermutlich von Romanus Hoffstetter stammt, hat sich - trotz der Beliebtheit der Serenade aus dem F-Dr-Quartett - später als Fälschung herausgestellt, was insofern bemerkenswert ist, als es beweist, welche Wirkung bereits Haydns erste Quartett-Versuche europaweit ausgeübt haben. Schon von op. 1 entstanden bis zu Haydns Tod in ganz Europa mehr als ein Dutzend Druckausgaben! Und selbst gewisse Eigenheiten der ersten Quartett-Serie werden sich auf die folgenden vererben: Meist werden sechs Quartette unter einer Opuszahl vereint, eines davon in Moll, eines mit einem kunstvollen Variationssatz.

Mit dem Opus 9 steht die Gattung Streichquartett dann plötzlich prototypisch vor uns: Ein gemessener erster Satz (meist in moderaten Allegro-Tempo), ein artifiziell stilisiertes Menuett, ein langsamer Satz und ein quirliges Finale. Nur die Mittelsätze werden irgendwann ihre Plätze tauschen - aber nicht immer; Beethoven rückt den stilisierten Tanzsatz, bei ihm in der Regel ein Scherzo, gern wieder an die zweite Stelle).

Abgesehen von verlegerischer Willkür, die in jenen Jahren gang und gäbe war, läßt sich für Haydns erste »große« Quartettserie nach den Angaben in Haydns eigenem Werkeverzeichnis (dem »Enwurfkatalog«) folgende Reihenfolge der Sechsergruppe festlegen:

1: Hob.III/22 d-Moll
2: Hob.III/19 C-Dur
3: Hob.III/21 G-Dur
4: Hob.III/20 Es-Dur
5: Hob.III/23 B-Dur
6: Hob.III/24 A-Dur

Musikfreunde, die in diesen Werken nach dem überlieferten, erst im 19. Jahrhundert formulierten Schema der klassischen »Sonatenform« suchen, werden mehr als einmal feststellen müssen, daß Haydn gar nicht daran denkt, in einer »Exposition« zwei Themen aufzustellen, die dann in der »Durchführung« gegeneinander ausgespielt werden. Solche formale Bedienungsanleitungen waren ihm fremd, die dazugehörigen Begriffe noch nicht geboren. Vielmehr kann man lernen, wie sich das von den Hörern später als klassisch empfundene Organisationsprinzip herauszukristallisieren beginnt: Oft sind Haydns »Sonatensätze« monothematisch und gewinnen ihre strukturelle Energie aus dem geistreichen Spiel mit motivischen Details der (melodischen oder dramatisch-gestischen) »Themen« und deren variatitiver Verarbeitung. Eine »Durchführung« kann auch lediglich eine kunstvolle ausgezierte, variierte Wiederholung der »Exposition« sein, in aller Regel modulierend andere Tonarten aufsuchend, nach denen die Wiederkehr des Anfangs und des Grundtons als Heimkehr empfunden wird - als »Reprise«.

Auf die Serie op. 9 folgten ein Jahr später, 1772, die Quartette op. 17 und 1773 die nach der Illustration auf der Titelseite eines frühen Drucks so genannten »Sonnenquartette« op. 20.

Die Quartette op. 17

Die von Haydn vorgesehene Reihenfolge der Werke

Hob III/26  F-Dur
Hob.II/25  E-Dur
Hob. III/28  c-Moll
Hob. III/30  D-Dur
Hob. III/27  Es-Dur
Hob. III/29  G-Dur


Die formale Anlage des Zyklus ist ähnlich wie in op. 9, wiederum steht ein Werk in Moll, eines schließt einen Variationssatz ein und bestimmte »Typen« - etwa ein langsamer Satz im Siciliano-Rhythmus oder eine »Jagd-Szene« (in op. 17 im Quartett in D-Dur) kommen jeweils einmal vor. Bemerkenswert die Tatsache, daß im Es-Dur-Quartett die Themen von 1. und 4. Satz hörbar miteinander verwandt sind - hier macht sich eine Tendenz zur inhaltlichen Verknüpfung der einzelnen Sätze eines Werks bemerkbar, die Haydn in der Folge deutlich ausbauen wird. Die Herausbildung eines »Sonatensatzes« mit deutlich erkennbaren Gegenthemen ereignet sich in der Serie op. 17 eher in den Final-Sätzen als in den weiterhin konzentriert gearbeiteten Eingangssätzen.

Die Sonnenquartette op. 20

Mit den sechs Quartetten op. 20 rundet Haydn die Landnahme ab: 18 Werke hat er zwischen 1771 und 1773 vorgelegt. An diesen Werken wird in der Folge alles gemessen, was sich Streichquartett nennt.

Den Beinamen »Sonnenquartette« hat die Sechserserie op. 20 vom Titelblatt des 1779 in Amsterdam ershienen Notendrucks, dessen Titelblatt eine Sonne zierte.

Die Quartette op. 20 zeigen erstmals den Meister der stilistischen Balance, der galanten und empfindsamen Stil mit mancher Anleihe an barocke Formstrenge zu verbinden weiß. Einige der Stücke enden mit knappen, kraftvollen Fugensätzen. Das Finale des f-Moll-Quartetts greift jenen Topos auf, den Mozart später in der Kyrie-Fuge seines »Requiem«-Fragments verwenden wird.

Opus 33

Zehn Jahre hat sich Haydn in der Folge Zeit gelassen, ehe er wieder Werke in dieser Besetzung komponierte: Die Quartette op. 33 verdichten die Kunst der thematischen Arbeit und die polyphone Schreibweise noch weiter.

Gleichzeitig nimmt die Subjektivierung der Musik zu. →

Als wär's programmatisch gedacht, führt Haydn gleich mit den Anfangstakten des h-Moll-Quartetts (op. 33/1) in die Irre, beginnt in scheinbar lockerem Serenadenton in D-Dur, ehe das Stimmengeflecht durch für damalige Verhältnisse krass dissonierende modulatorische Vorgänge nach h-Moll gleitet.

Die Aufnahme des Zyklus durch das Wiener Quatuor Mosaiques bringt die nötige musikantische Spielweise mit analytischer Klarheit perfekt zur Deckung. (audivis/Naive)


Für die Nachwelt, vor allem die Musikforschung (allen voran Friedrich Blume oder Ludwig Finscher), beginnt erst hier die Geschichte des voll ausgereiften Streichquartetts in seiner luxriösesten Ausprägung (mit dem Menuett nun häufig bereits an dritter Stelle und zuweilen bereits als Scherzo bezeichnet!). Der Faden wurde von Mozart unmittelbar aufgegriffen: Seine sechs Haydn gewidmeten Streichquartette sind als direkte Antwort auf Haydns Kompositionen zu verstehen - inwiefern der Ältere sie als Herausforderung empfunden hat, läßt sich an seinen folgenden Streichquartetten ablesen, die manches von Mozarts Anregungen widerspiegeln - womit die Gattung Streichquartett zu einer Angelegenheit der allerhöchsten kompositorischen Beschäftigung wurden: Nur Beethoven konnte in jene schwindelerregenden Regionen vordringen - und ab sofort war das Quartett die Königsdisziplin. Sie trieb bis ins XX. Jahrhundert (etwa bei Bartók und Schostakowitsch, nicht zuletzt aber auch in er extremen Avantgarde, etwa bei Lutoslawski) auch entsprechend prachtvolle Blüten.

↑DA CAPO