FIDELIO
Beethoven hat nur eine einzige Oper komponiert. Die aber gleich drei Mal!
Die politischen Umstände ließen es ein Jahrzehnt dauern bis Fidelio zu einem Erfolg wurde.
Beethoven hat bekanntlich drei Fassungen seiner Oper zur Aufführung gebracht. Vorbilder seines Titelhelden, pardon, seiner Titelheldin, hatten freilich in jener Zeit bereits unzählige die Bühnen der Welt bevölkert.
Und Beethoven kannte einige der Vorgängerinnen seiner Theater-Lichtgestalt zumindest flüchtig.
Napoleonischer Pulvergestank. Das Sujet lag damals jedenfalls in der Luft, wie man so schön sagt. Und diese Luft war erfüllt von Pulvergestank. Abgesehen davon durchglüht ja das kämpferisch-siegreiche per aspera ad astra einen nicht unbeträchtlichen Teil des Beethoven'schen Schaffens: Seine Musik streitet für das Gute, Wahre, Schöne. Sie tut es im wahrsten Sinne des Wortes nicht aus heiterem Himmel.
"Wie schwach der Hoffnung Schein", mochte mancher Einwohner Wiens anno 1805 mit Leonore geseufzt haben. Wien war gerade nicht kaiserliche Haupt- und Residenzstadt, als "Fidelio" zur Uraufführung kam. Die Franzosen hatten Wien eingenommen. Der Kaiser war nach Mähren geflüchtet. Nicht ohne eine Proklamation zu erlassen:
Mag Trunkenheit des Glücks oder unseliger und ungerechter Geist der Rache den Feind beherrschen, ruhig und fest stehe ich im Kreise von 25 Millionen Menschen, die meinem Herzen und meinem Hause teuer sind.
Franz II. "stand" freilich bald nicht in Wien, sondern in Kremsier. Und die Wiener Bevölkerung, so sie nicht auch die Möglichkeit gehabt hat, sich aus der Stadt abzusetzen, sollte sich in freiwilligen Jägerkorps und Bürgermilizen sammeln und musste mit ansehen, wie die Schätze aus Bildergalerien und Archiven samt der Staatskasse dem Kaiserhaus nach Norden folgten oder auf der Donau nach Ofen, dem heutigen Budapest, verschifft wurden.
Das Premierendatum des "Fidelio" markiert, durch kaiserlich-militärische Feldstecher betrachtet, die Mitte zwischen Hoffnung und Verderben. Fast auf den Tag genau einen Monat vor der Uraufführung hatte Admiral Nelson Napoleon bei Trafalgar besiegt. Zwei Wochen danach schlug Frankreich bei Austerlitz die Armeen Russlands und Österreichs vernichtend. Napoleon residierte in Schloss Schönbrunn und ratifizierte den in Pressburg geschlossenen Friedensvertrag.
Ein Blick in die Journale der Beethoven-Zeit lässt die Realität jener Wochen lebhaft nachfühlen. ↓
Beispielsweise staunte der Rezensent der "Eleganten Welt", als er bei seinem Besuch:
statt der Wiener Polizeisoldaten jene blauen Röcke, und hohen rauen Mützen" erblickte, und merkt an: "In den Vorstädten schien das Volksgedränge stärker als gewöhnlich . . . alles wogte im bunten Gewimmel . . . Die Hoffnungen der Meisten waren auf den Erzherzog Karl gerichtet, welcher mit seiner Armee nahe sei, und die Feinde sicher schlagen würde.
Innerhalb der Stadtmauern waren hingegen mehrheitlich französische Offiziere anzutreffen. "Sie waren in die reichsten Häuser verlegt, und mit der Bewirtung zufrieden" und bildeten den Hauptanteil der Besucher der Premiere im Theater an der Wien.
Ein zeitgenössischer Bericht ↓ Das Theater war gar nicht gefüllt, und der Beifall sehr gering. In der Tat ist der dritte Akt sehr gedehnt, und die Musik, ohne Effekt und voll Wiederholungen . . . Dass doch so viele, sonst gute Komponisten gerade an der Oper scheitern, bemerkte ich ganz leise meinem Nebenmanne, dessen Mienen mein Urteil zu billigen schien. Er war ein Franzose, und suchte die Ursache darin, dass die dramatische Komposition die höchste Kunststufe sei, und auch sonst eine ästhetische Ausbildung fordere, die man, wie er höre, bei deutschen Musikern selten finde. Ich zuckte die Achseln und schwieg.
Der wahre Gefangenenchor.
Beethovens Opernsolitär sollte aber im Frühjahr 1806 nach gründlicher (zweiaktiger) Revision zurückkehren. "Beethoven hat seine Oper mit vielen Veränderungen und Abkürzungen wieder auf die Bühne gebracht", heißt es in der "Allgemeinen musikalischen Zeitung". "Ein ganzer Akt ist dabei eingegangen, aber das Stück hat gewonnen und nun auch besser gefallen."
Berichteten doch die Zeitungen immer wieder von den unmittelbaren Folgen der Schlacht bei Austerlitz und von den Leiden der Soldaten der mit Österreich verbündeten Armee des Zaren: ↓ Es waren mehrere Tausende gefangene Russen, die man aus Mähren nach Wien gebracht hatte. Ein entsetzlicher Anblick! Diese Elenden waren beinahe ganz in Lumpen gehüllt, mager, ausgezehrt, hatten einige Tage nichts gegessen, und baten nun mit aufgehobenen Händen um Nahrung. Die Gutherzigkeit der Wiener zeigte sich hier im schönsten Lichte. Auf jedem Gesichte las man die lebhafteste Teilnahme, aus den Fenstern flogen ganze Laibe Brotes, Semmeln, Obst, Braten . . .
Wie stark mochte die Wiener Bevölkerung die Handlung der Oper auf sich und die eigene Situation bezogen haben? Manche Assoziationen konnten gespenstisch anmuten.
Keine neue "Zauberflöte"
Wie auch immer: Diesmal war der Oper noch weniger Glück beschieden. Nach nur einer Reprise verschwand sie vom Spielplan, um erst 1814 (übrigens mit derselben Interpretin der Titelheldin) im Kärntnertortheater wieder aufzutauchen - und dann für immer zu bleiben. Im Theater hatte er Logis genommen, seit er sich mit Opernplänen trug. ↓ Im Theater hatte ihm bereits der Erstbesitzer, Emanuel Schikaneder, freie Logis gewährt, um ihn als Opernkomponisten zu gewinnen.
Der neuerliche Flop war allerdings offenkundig weniger künstlerischen Erwägungen als einem ordinären Streit ums Geld geschuldet: Beethoven überwarf sich mit dem Intendanten des Theaters an der Wien.
Aus den Plänen, Schikaneders Libretto zu Vestas Feuer zu vertonen, wurde nichts. Die eruptive Musik des skizzierten Schlussterzetts wurde im Fidelio zum "Freuden"-Duett Leonores und Florestans.
Aber eine "neue Zauberflöte" wollte Schikaneders "neuer Mozart" nicht schreiben. Das Genre schien ihm veraltet.
An Friedrich Rochlitz, der ihm ein Libretto angeboten hatte, schrieb Beethoven: "wäre ihre Oper keine Zauber-Oper gewesen, mit beiden Händen hätte ich darnach gegriffen", aber die Zeit der Zauberoper sei "durch das Licht der gescheiten und sinnigen französischen Opern gänzlich aus".
Dass Schikaneder sein Theater an der Wien im Frühjahr 1804 verlassen musste, erleichterte es Beethoven, Vestas Feuer ad acta zu legen und einen ihm genehmen Stoff zu wählen.
Was die Franzosen schon kannten
Das Sujet, das Beethoven nun aus eigenem Antrieb unter den "gescheiten und sinnigen französischen Opern" fand, machte seinen Fidelio für die theateraffinen unter Napoleons Offizieren trotz der deutschen Sprache zum Déjà-vu-Erlebnis. Die erste Vertonung des Stoffes, auf ein Libretto Jean Nicolas Bouillys, stammte aus der Feder von Pierre Gaveaux und hieß Leonore, ou L'amour conjugal. Und war 1798 in Paris uraufgeführt worden. Der Wiener Zeitungstratsch wußte schon im Mai 1805 zu berichten, daß Beethoven sich bei seinen Musiktheater-Plänen an einem französischen Vorbild orientieren würde. Nächstens soll eine neue Oper Beethovens auf die Bühne gebracht werden. Man ist sehr gespannt auf diese Arbeit, in welcher Beethoven zuerst als dramatischer Komponist auftreten wird. In dem Texte soll Beethoven mit Paer zusammengetroffen sein, der auch die nämliche ,Leonore' voriges Jahr zu Dresden in Musik setzte.
Sie zog mannigfaltige Nachahmungen nach sich.
Paers Leonore in Wien
Das ließ einem der wichtigsten Mäzene Beethovens, dem Fürsten Lobkowitz, immer an Novitäten interessiert, keine Ruhe. Er ließ Paers wenige Monate alte Leonora ossia L'amor conjugale für eine Privataufführung einstudieren - mit Beethovens erster Marzelline, Louise Müller, in der Titelpartie! Vier Tage später startete an der Wien Beethovens Zweitversuch.
Viel eher als mit seiner einzigen Oper, die stets für politische Manifestationen ge- und mißbraucht wurde, hat Beethoven mit Instrumentalwerken "Politik gemacht". →