S C A R L A T T I ???

Fragen wir nach dem Meister der italienischen Oper zwischen Monteverdi und den großen »Neapolitanern«, dann geht es um

→ Alessandro Scarlatti.


Der Mann mit den Hunderten von Klaviersonaten, das war


Domenico Scarlatti

1685 - 1757

Domenico war der Sohn des Opern-Meisters Alessandro Scarlatti und versuchte zunächst in dessen Fußstapfen zu treten. Im Musikleben der Zeit gut vernetzt, war es möglich, daß Domenico rasch mit Opern und geistlicher Vokalmusik reüssierte.

Kultur-Chronist Charles Burney urteilte über diese frühe Phase in Domenico Scarlattis Schaffen:
Those acquainted with the original and happy freaks of this composer in his harpsichord pieces, would be surprised at the sobriety and almost dulness of his songs.
His genius was not yet expanded.


Immerhin hat sich aus der Zeit, in der Scarlatti als Kapellmeister im Vatikan tätig war, ein zehnstimmiges Stabat mater erhalten, das von enormer Ausdruckskraft ist.

Dennoch ist nicht zu leugnen, daß die musikhistorische Bedeutung dieses Komponisten in seiner Tätigkeit als Klavierlehrer der portugiesischen Infantin Maria Barbara liegt: Für sie verfaßte er eine große Zahl von Übungsstücken, die die Basis für sein Sonaten-Schaffen bilden.

Mit dem Hofstaat Maria Barbaras übersiedelte Scarlatti nach deren Hochzeit mit dem Infanten von Spanien - und verbrachte den Rest seines Lebens als Hofmusiker der nachmaligen Königin vorwiegend in Madrid und Sevilla.

Ein Mann von feiner, kultivierter Lebensart, lauschte der Italiener auch der spanischen Volksmusik und ließ viel davon in seine Musik einfließen.

Sein überragender Rang als Cembalist stand bereits in seiner Zeit in Rom fest. Georg Friedrich Händel überließ er gern den Rang des besten Organisten der Welt. Am Cembalo war er dem deutschen Konkurrenten mindestens ebenbürtig, wenn nicht überlegen, so urteilten bereits die Zeitgenossen. Was er seinem Instrument an klanglichen Möglichkeiten entlocken konnte, spiegeln für die Nachgeborenen die mehr als 500 einsätzigen Sonaten wider, die ein Kompendium der barocken »Klaviertechnik« darstellen und nachvollziehen lassen, daß Scarlatti seinen Hörern als Spieler vielschichtige Ausdrucksebenen erschließen konnte.

Die Sonaten

Über die erste Sammlung von Stücken, die in Druck erschienen, schrieb Scarlatti selbst, sie enthielen weniger »tiefe Gelehrsamkeit als vergnügliche Kunstfertigkeit«, aber auch, daß er ganz bewußt mit den »Kompositionsregeln« gebrochen habe - was vielleicht andeuten mag, daß die Zeitgenossen in seinen Werken höchst mutige, ungewöhnliche harmonische Fortschreitungen finden konnten. Formal leistet sich der Komponist hingegen keine Experimente. Die Sonaten sind allesamt einsätzige Stücke in zweiteiliger Form. Sie zählen zu den Vorbildern der späteren Sonatensatz-Form, modulieren in der Regel gegen die Mitte zu in die Dominante um im zweiten Teil wieder zur Grundtonart zurückzukehren.

Späte Blüte

Im übrigen entstanden die meisten der Sonaten in Scarlattis späten Jahren. Wie später Rameau oder Joseph Haydn waren sie Frucht eines weisen, gereiften Alters.

Aufgewachsen war Domenico Scarlatti ja im Hause eines der erfolgreichsten Opernkomponisten seiner Zeit, der dafür sorgte, daß sein Sprößling eine gediegene handwerkliche Ausbildung erhielt. Daß er später bewußt Regeln brach, setzte voraus, daß er diese Regeln aus dem Effeff beherrschte!

Für Scarlattis Instrumentalstil blieben dann die Meister Corelli und - von den Älteren - Frescobaldi stilbildend. Auch der absolute Modekomponist der Zeit, Antonio Vivaldi, hinterließ naturgemäß Spuren. Nach einer Zeit als Hofkomponist der exilierten Königin Maria Casimira von Polen, in der er Oratorien und Opern schrieb, war der jüngere Scarlatti fünf Jahre lang im Vatikan angestellt, wurde also zum Kirchenkomponisten. In jener Phase entstand das imposante Stabat Mater.

In Lissabon wurde Scarlatti zum Hofkomponisten. Aus dieser Zeit ist vieles verloren gegangen (darunter unter anderem eine Oper nach Shakespeares Hamlet!)

Scarlattis Nachruhm beruht jedoch auf seinen Klaviersonaten.

Aufnahmen

Mit seinen meist zweiteiligen, immer einsätzigen Klavier- bzw. Cembalosonaten schuf Scarlatti ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Spätbarock und den formalen Neuerungen der Klassik. Die subtile Kunst der thematischen Arbeit und der Herausbildung harmonischer Entwicklungen macht seine kleinen Piecen bis heute zu beliebten Objekten pianistischer Nuancierungskunst. Scarlattis Sonaten erweisen sich für Cembalisten so dankbar wie für Interpreten, die dem modernen Konzertflügel immer neue Farbnuancen abzugewinnen versuchen.

So haben auch Virtuosen vom Schlag eines Vladimir Horowitz brillante Wiedergaben von Scarlatti-Sonaten modelliert.


Vladimir Horowitz
spielt Scarlatti (RCA)






In der Aufnahmegeschichte einzigartig da steht das CD-Projekt des frühverstorbenen Cembalisten Scott Ross, der mit dem nötigen Gusto und Elan alle erhaltenen Stücke auf 34 CDs eingespielt hat.
Scott Ross: Beginn der langen Reise mit der Sonate Nr. 1 d-Moll

Über dieser verdienstvollen Aufameserie vergißt man gern, daß auf Anregung des bedeutenden Scarlatti-Forschers und Herausgebers von Werkverzeichnis und Gesamtausgabe, Ralph Kirkpatrick, der damals gerade knapp über 20-jährige Cembalist → Fernando Valenti ins Schallplattenstudio ging, um den gesamten Corpus der 555 erhaltenen Scarlatti-Sonaten für das amerikanische Westminster-Label aufzunehmen. Die Serie kam war nur etwa bis zur Hälfte. Doch was Valenti hinterlassen hat, ist ein flammendes Plädoyer für den Komponisten. Vom ersten Ton an reißt er mit interpretatorischem Feueratem de Hörer mit. Er spielt mit einer solchen Lust an dramatischen Entwicklungen, am Fabulieren, am modellieren subtiler Details, am Setzen spritziger Pointen, daß die jeweils etwa 40 Minuten jeder CD der digitalen Neuauflage jeweils wie im Flug vergehen. Die großartigen Digitalisierungen, die Peter Harrison für Pristine gelangen, lassen im übrigen von Werk zu Werk staunen, welchen Farbenreichtum Valenti seinem opulent klingenden Cembalo zu entlocken wußte.         

Noch einmal beinah zwei Jahrzehnte früher war die große Dame der Cembalisten-Zunft, Wanda Landowska, im Auftrag der Scarlatti Society für das Label HMV ins Studio gegangen, um zwanzig Scarlatti-Sonaten einzuspielen. Eine echte Pioniertat Anno 1934!


↑DA CAPO