Stabat mater

Antonio Vivaldi    (1712)

Zwei Jahrhunderte lang hat man Antonio Vivaldi - mit mehr oder weniger Hochachtung - als Meister des Concerto gefeiert. Daß er ein bedeutender Opernkomponist war, vergaß man ebenso wie daß er große geistliche Kompositionen geschaffen hatte. Die früheste erhaltene geistliche Musik aus Vivaldis Feder entstand übrigens nicht für Venedig, sondern als Auftrag von Santa Maria della Pace in Brescia - dort hatte Vivaldi an der Seite seines Vaters als Geiger gewirkt.

Während seiner Dienste in der Kapelle in Brescia bestellte man bei ihm eine Vertonung des Stabat mater. 20 Lire und 4 soldi weist das Register der Kirchenverwaltung als Honorar für den Komponisten aus.

In der Karwoche 1712 dürfte das Werk erstmals gesungen worden sein. Interessanterweise hat Rom den Gebetstext Jacopone da Todis aus dem Beginnenden XIV. Jahrhundert erst ein wenig später, Mitte der Zwanzigerjahre des XVIII. Jahrhunderts für die Liturgie zugelassen. Schon zuvor dürfte der bewegende Klagegesang der Jungfrau Maria am Kreuz aber konsequent in Gebrauch gewesen sein.

Da der Text aber nicht kanonisiert war, konnte Vivaldi seine Auswahl treffen - anders als die bekanntesten Vertonungen des Stabat mater verwendet sein - für eine Solostimme und ein kleines Instrumentalensemble gesetztes - Werk nur zehn der 20 Strophen, und zwar jene, in denen die Klage der Gottesmutter im Zentrum steht, während nur die letzten Verse die Sicht des „Erzählers“ beleuchten.

Es dauerte mehr als zwei Jahrhunderte, bis das Werk wieder zum Klingen gebracht wurde. Der italienische Komponist Alfredo Casella publizierte eine Spielfassung in den Späten Dreißigerjahren des XX. Jahrhunderts. Aber erst die Originalklang-Bewegung rückte das Stabat mater in den Fokus.

 

Aufnahmen

Von den Originalklang-Aufnahmen ist jene mit dem fabelhaft phrasierenden Countertenor Gérard Lesne die innigste, begleitet von einem Miniatur-Ensemble („Il Seminario“) also vermutlich ziemlich nah an der ursprünglichen Klang-Realität.

Wer in der Alt-Lage lieber eine Frauenstimme hört, ist mit Helen Watts und dem Barock-Pionier Jean-Claude Malgoire (1977) bestens bedient: Auch hier weiß man schon recht gut, wie Musik dieser Ära zu gestalten ist, frönt dabei aber einem dunkel-satten Schönklang. (Sony)

Den Startschuß zu einer großen Kariere gab 1995 die Veröffentlichung der Aufnahme durch Andreas Scholl und Chiara Banchini mit dem „Ensemble 415“, das seine Erkenntnisse über originale Aufführungspraktiken zu einer äußerst lebhaften, dramatischen Gestaltung nützt. (harmonia mundi)

Eine ideale Balance zwischen dezent vorgetragenter, aber geradezu opernhaft-direkt wirkender Schmerzensgeste und liturgischer Würde erzielen Sara Mingardo und Rinaldo Alessandrini, der von der Orgel aus sein Concerto Italiano in einer barocken Kirche befehligte, als die Aufnahme für Naive Records entstand.

 


↑DA CAPO