→ J. B. LULLY  SINKOTHEK

Lully als Opernmeister

Als autoritärer Kapellmeister sorgte Jean Baptiste Lully am Hof des Sonnenkönigs Ludwig XIV. für eine Hochblüte der musikalischen Kunst. Die Sänger wie die Orchestermusiker fürchteten zwar den berüchtigten Zorn ihres Kapellmeisters, wuchsen aber zu einem europaweit gerühmten, ungemein präzisen Klangkörper, der die ideale Grundlage für die prunkvollen szenischen Arrangements in Versailles schuf. Jede musikalische Bewegung, jede Nuance des Gesangs und des Instrumentalspiels war vorherbestimmt. Improvisatorische Freiheiten, wie sie sich die italienischen Instrumentalisten und gar die Primadonnen und Kastraten-Stars im übrigen Europa gegenüber dem Notentext zu nehmen beliebten, waren unter Lullys Führung undenkbar.

Die Wurzeln

Aufgebaut hat Lully auf dem Ballett. Es stand am französischen Hof in hohem Ansehen. Das Ballet de cour war eine Art pantomimischer Kunst, die Tanz, Gesang und komplexe szenische Arrangement vereinte, wozu bereits gegen Ende des XVI. Jahrhunderts immer kühner technische Bühnen-Maschinerien gebaut wurden. 1581 erreichte diese Tradition mit dem spektakulären Ballet comique de la reine; einen legendären Höhepunkt.

In der Regel gipfelten die nicht selten mit politischen Anspielungen gespickten szenischen Spiele in einer Verherrlichung des Königs und seines Hofstaats. Jean Baptiste Lully war an der Entwicklung dieser französischen Spielart des Musiktheaters entscheidend beteiligt. Dabei war er schon 1646 als 14-jähriger Page und Italienisch-Lehrer von Ludwigs Cousin, der sich opportunistisch-raffiniert eine Stellung als virtuoser Tänzer erkämpfen konnte: Lully, der aus Florenz gekommen war und eigentlich Giovanni Battista Lulli hieß, blieb die Tanzleidenschaft des kindlichen Königs (der sechs Jahre jünger war als er selbst) nicht verborgen.

Er begann Ballett-Musik für die Tanzeinlagen in italienischen Opern zu komponieren, die in manchen Fällen brillanter war als die Opernpartituren. Selbst ein Cavalli hatte es schwer, in der Gunst des Königs mit Lully gleichzuziehen. Lully avancierte bald zum » Surintendant de la musique«. Als Günstling des Königs konnte er über den royalen Musikhaushalt diktatorisch gebieten - was ihn zum berühmten, aber auch verhaßten Mann werden ließ.

1656 hatte Lully bereits sein eigenes 16-köpfiges Streicherensemble gegründet, die »Petits violons«. Dank der geforderten Disziplin musizierten sie bald präziser und virtuoser als das königliche Orchester. Mit der Zeit vergrößerte Lully sein Ensemble auf zuletzt 48 Spieler. Die musizierten in der Blütezeit in der Regel fünfstimmig, wobei Lully selbst oft nur noch die Oberstimme und den Baß notierte, während seine Assistenten die Mittelstimmen aufzufüllen hatten.

Die »Französische Ouverture«

Am Beginn aller Theaterwerke Lullys stand eine große Instrumentalmusik mit langsamer Einleitung (geprägt von einem charakteristischen, punktierten Rhythmus) und raschem, fugiertem Hauptteil, die Lullys ureigenste Schöpfung war und als Französische Ouverture in die Musikgeschichte einging. Sieben Jahre lang arbeitete mit dem Hofdichter Molière zusammen. Die beiden schufen ein Dutzend Comédie-Ballets, aus denen später die Opéra-Comique werden sollte. Penibel orientiert an Molières Sprache entstand hier das französische Rezitativ, das sich in den Stücken mit komplexeren Sätzen für Chor abwechselte.

Doch war es nicht Lully, der die typisch französische Oper erfand. Pomone aus der Feder des Konkurrenten Cambert, erregte 1671 die Gemüter. Das Werk lief acht Monate lang en suite in Paris, wobei sogar polizeiliche Reglements getroffen werden mußten, um das Publikum davon abzuhalten, haltlos das Theater zu stürmen, um Einlaß zu finden. Es bedurfte einiger Intrigen des eifersüchtigen Lully, um an die erste Position im Pariser Musikleben zu gelangen. Doch am Ende war er Herr über die königliche Kapelle und die Oper und wurde zum alleinigen künstlerischen Diktator. Selbst Molière wußte er zu entthronen. Als der Dichter nach der vierten Aufführung seines Eingebildeten Kranken starb, verdrängte der Komponist auch dessen Truppe aus dem Theater im Palais-Royal.

Einem rasch als Huldigung an den König als in Holland siegreichen Feldherrn gezimmerte Pastorale fungierte als erste Probe von Lullys Alleinherrschaft. Wenig später entstand mit Cadmus et Hermione auf einen Text von Quinault die erste Tragedie-Lyrique und damit die Urform der französischen Oper. Die anhand der Vertonungen Molièrescher Texte geübte Praxis eines metrisch freien, der Sprache angeschmiegten Rezitativs bildete ab sofort den Grundstock von Lullys Musiktheater-Kompositionen. Zwecks klarer Textverständlichkeit blieben auch die Chöre in der Regel homophon. Die Übergänge zu den - meist ebenfalls vom französischen Sprachduktus geprägten, also kaum verziert-melodiösen - Arien waren geschmeidig, die Musik und damit auch die Handlung blieben beständig im Fluß. Ausländische Beobachter fanden diese Opern-Form befremdlich: Johann Joachim Quantz klagte:

Ihre Rezitative singen zu viel, ihre Arien zu wenig.

Bis zu seinem Tod im Jahr 1687 produzierte Lully nach diesem Triumph einmal jährlich eine große Oper und wurde damit nicht nur zu einem der erfolgreichsten, sondern dank der königlichen Gunst auch wohlhabendsten Komponisten der Barockzeit.

Quinault blieb Lullys kongenialer Librettist und schuf Jahr für Jahr einen Text auf Grundlage mythologischer Themen. Diese Tragédie-Lyriqes hatten jeweils fünf Akte, eingleitet durch einen direkt an den König adressierten, huldigenden Prolog, den allegorische Figuren bestritten. Der folgende Fünfakter erzählte dann eine Heldensage, in die zwischen heroischen Taten stets auch Zeit für eine Liebesgeschichte blieb. Immer wieder erscheinen Götter oder Feengestalten, auch böse Drachen, deren Auftritte die magischen Künste der Theatermaschinerie heraufbeschwören.

Quinault hatte all seine Libretti zunächst mit dem König zu diskutieren, der das letzte Wort bei Themenwahl und Szenenfolge hatte. Lully durfte dann Wünsch äußern, um seine musikalischen Einlagen - vor allem die Ballette - zu höchster Wirkung zu bringen. Danach mußte die Theater-Intendanz ihren Segen geben, denn die szenischen Visionen mußte realisierbar sein. Als letzte Instanz fungierte am Ende aber doch wieder Jean Baptiste Lully, der das volle Vertrauen Ludwigs XIV. genoß. Der Leidtragende dieses komplizierten Entstehungsprozesses war Quinault, der oft ein Dutzend Textentwürfe schreiben mußte, ehe die endgültige Version des Librettos approbiert war.

Die Opern Lullys und Quinaults

Cadmus et Hermione (1673)
Alceste ou Le Triomphe d’Alcide (1674)
Thésée (1675)
Atys (1676)
Isis (1677)
Proserpine (1680)
Persée (1682)
Phaëton (1683)
Amadis (1684)
Roland (1685)
Armide (1686)

Überdies entstanden nach Texten von Corneille:

Psyché (1678)
Bellérophon (1679)


↑DA CAPO