Die erste »Clavierübung«
Sechs Partiten für »Klavier« (Cembalo)
Erstausgabe: 1731
Die Tatsache, daß von den für Tasteninstrumente komponierten Suiten Johann Sebastian Bachs je eine Folge von sechs Werken unter dem Titel »Englische« bzw. »Französische Suiten« publiziert wurden, hat weitreichende, aber wenig zielführende Spekulationen über stilistische Differenzen in Bachs Suitenfolgen heraufbeschworen. Über
DIE SUITE
im BarockAuch die Partiten, die 1731 als Clavierübung in Druck gingen, folgen dem althergebrachten barocken Suiten-Schema, das Bach bei seinem Vorgänger in Leipzig, Kuhnau, vorfand. Die Partiten enthalten die für diese Gattung typischen Sätze Allemande, Courante, Sarabande und Gigue, die Bach offenkundig für perfekt und verbindlich erachtete, und fügen jeweils noch freiere Sätze zur Einleitung und teilweise auch als zusätzliche Sätze ein.
»Französisches« findet sich zuweilen in diesen Stücken, vor allem etwa in der unverwechselbar französischen Ouverture am Beginn der Suite Nr. IV. Im übrigen mischt Bach hier - wie in seinen Orchestersuiten (nach ihren »
französischen« Einleitungssätzen auch gern Ouvertüren genannt) italienische und französische Tanzformen bunt und ohne erkennbare Schematik. Die Sechsergruppe deshalb als Deutsche Suiten zu bezeichnen, wie gelegentlich vorgeschlagen wurde, scheint weit hergeholt - und vor allem zum Verständnis der Musik nicht förderlich: Bach schreibt hier, wie sooft, seine unverwechselbare Art von Unterhaltungsmusik - sie geht bei ihm stets auch mit höchst intellektuellem Vergnügen einher.
Aus den Partiten der »Clavierübung« geht hervor, daß Bach denselben, als den Äußerungen zweier Nationalitäten, gleiche Rechte nebeneinander zuerkannte. Die erste, dritte, fünfte und sechste Partita hat er mit Correnten, die zweite und vierte mit Couranten versehen. Erstere stehen im 3/4- und 3/8-Takt und haben ein flüssiges und eilendes Wesen, die Couranten dagegen sind leidenschaftlich erregt, gediegen und tiefsinnig.
In den Druckausgaben ist diese von Spitta bemerkte Differenzierung in der Regel nivelliert worden.
Corelli sei für Bach in Fragen des italienischen Stils das Vorbild gewesen, bemerkt der Biograph. Deutlich etwa in der Allemande der E-Moll-Partita, die denn im Manuskript auch ausdrücklich italienisch als »Allemanda« bezeichnet wird. Spitta:
Auch Corellis freie Art, mit der Allemande zu schalten, scheint sich Bach gemerkt zu haben. Während übrigens seine Allemanden wie Öl dahinfließen, zeigt die der E moll-Partita ein eckiges Wesen, welches namentlich durch punktirte Sechszehntel hervorgebracht wird. Diese Bewegung findet sich aber häufig grade in Corellis Allemanden.Tatsächlich fließen die Allemande-Sätze »wie Öl« allerdings bei höchst unterschiedlicher Bewegungsstruktur: In der D-Dur-Partita weitet sich die melodische Entwicklung zu einem hinreißenden, ruhig strömenden Adagio-Gesang, dem ersten der beiden meditativen Zentren dieses Wunderwerks - ein zweites folgt mit der Sarabande, während die übrigen Sätze für gut gelaunte, geistreiche Gegenpole bilden.
Typisch italienisch sei, so Spitta, die Verwischung der tänzerisch-rhythmischen Strukturen, von denen bei Corelli hie und da nur noch die Tempoangabe bleibt - er nennt auch ein Beispiel bei Bach, das diese Praxis widerspiegelt:
Ebenso finden wir in der E-moll-Partita ein Tempo di Gavotta, während das Stück sonst mehr einer Giga, oder, abgesehen vom Alla-breve-Takt, einer Corrente gleicht. In der B-dur- und D-dur-Partita stehen Menuets, in der aus G-dur ein Tempo di Minuetto ein lieblich gaukelndes Stück mit reizenden Accentrückungen, in dem das Überschlagen der Hände vorübergehend angewendet wird; aber mit einem wirklichen Menuet hat es sonst nichts mehr gemeinsam, als den 3/4-Takt.
Partita I B-Dur BWV 825
Partita II c-Moll BWV 826
Partita III a-Moll BWV 827
Partita IV D-Dur BWV 828
Partita V G-Dur BWV 829
Partita VI e-Moll BWV 830