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Oper lebt!

Mara Zampieris sensationelles Salome-Debüt an der Wiener Staatsoper

18. September 1991
Da könnte man endlich wieder Lust bekommen, täglich in die Oper zu gehen, weil man süchtig wird auf solch unausweichliche musikalische Drogen: Mara Zampieri als Salome und rings um sie ein geradezu perfektes Ensemble, ein klangschwelgerisch wie lange nicht aufspielendes Orchester **
aufregender kann Oper nicht sein.

Nicht, daß der kritische Beobachter voraussetzen dürfte, Sternstunden wie diese montägliche könnten sich nun in regelmäßigen Abständen wiederholen. Jedenfalls darf er aber behaupten, daß Opernaufführungen von solcher Intensität in den letzten Jahren in Wien so gut wie nie stattgefunden haben.

Schon der Diva Zampieri das »Salome«-Wagnis gegönnt zu haben, gereicht der neuen Führung des Hauses am Ring zur Ehre. Die Tatsache allein hätte allerdings nicht garantiert, daß sich der Abend einer grandiosen Sängerin in eine aufregende, in allen Phasen spannende Opernaufführung verwandelt.

Daß das geschehen konnte, dafür sorgte zuallererst ein offenkundig animiertes und wohlstudiertes Orchester unter der sorgsamen Führung von Peter Schneider, der an diesem Abend seine bisher wohl allerbeste Wiener Leistung geboten hat: Durchsichtig, aber dennoch unter spürbarem Hochdruck wurde da aufgespielt, mit gewaltigen Entladungen ebenso wie mit zauberhaft changierenden, glitzernden Farben. Das kommentiert nicht nur, das trägt die Handlung.

Für Wien völlig unbekannte neue Sänger lassen aufhorchen: Wann hat der letzte Jochanaan so hellstimmig kraftvoll, gleichzeitig so dämonisch geklungen wie der von Monte Pedersen? Wann der Narraboth so jugendlich frisch wie der von Richard Brunner. Debütanten, die dem Haus treu bleiben sollten.

Vorausgewußt war bereits, daß Horst Hiestermann mit seinem prägnanten, schneidenden Charaktertenor einen guten Herodes abgibt, Leonie Rysanek, herrlich bei Stimme, eine grandiose Herodias. Sie meistert noch den schlimmsten Haßausbruch mit Mitteln des Schöngesangs.

All das - und die bis zum fünften Juden prägnant gewählte Besetzung der kleineren Partien sorgte für die wohl stimmigste, aufrüttelndste Wiener Richard-Strauss-Vorstellung seit sehr, sehr langer Zeit. Daß sich in dieser erstmals Mara Zampieris Salome ereignete, hob den Abend in jene Regionen, die zur Legendenbildung taugen.

Die Zampieri, bisher vor allem in italienischen Spintopartien ein unnachahmliches Bühnenfurioso, warf auch für diese deutsche Hochdramatische all ihre Energien in die Schlacht und setzte damit sämtliche "Fachgrenzen", die vorgeblich unüberwindlichen Hürden zwischen Stilen und musikalischen Anforderungsprofilen außer Kraft. Sie ist die Salome, wie sie die Lady Macbeth oder die Maria Stuarda war.

Ihre Stimme umfaßt alle denkbaren Schattierungen, die für das unschuldig-raffinierte Mädchen ebenso wie die für die alles durchdringende Kälte der letzten, grausigen Szene nach der Befriedigung ihrer perversen Lust. Abgrundtief durchdringend begehrt sie von Herodes den Kopf den Jochanaan, um dessen Zuneigung sie wenig früher mit leuchtend klaren, blühenden Phrasen gebuhlt hat. Die scheinbar unbegrenzte Wandlungsfähigkeit dieser Sängerin ist so beängstigend wie ihr schonungsloser Einsatz.

Trotz aller Attacke stehen der Zampieri bis zu den letzten, weit ausschwingenden Bögen des Schlußgesanges alle nötigen Kraft-und Farbreserven zu Gebote. Nur für den Tanz der sieben Schleier läßt sie sich doubeln. Wie richtig diese Entscheidung ist, beweist Rosemarie Stadlbacher, die als Ballerina naturgemäß aufreizenderen Effekt macht als jede noch so bewundernswerte Leistung einer zum Singen, nicht zum Tanzen geborenen Darstellerin.

Das Publikum am Montag abend, eine geschlossene Gesellschaft, schien nicht recht zu wissen, wie ihm da geschah. Nur vom randvoll besetzten Stehplatz aus schlugen den Protagonisten die Wellen der ehrlichen Begeisterung entgegen. Erst am kommenden Freitag ist diese Salome allgemein zugänglich. Man sollte, man müßte dabei sein, um zu sehen und zu hören, ob ein solches Ereignis wiederholbar sein kann.


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↑ DA CAPO