Die neuen Tenöre
Die Ritter vom Hohen C für das Jahr 2000
31. Dezember 1994
Gute Nachrichten
für Opernfreunde. Woran zuvor kaum einer glauben mochte, 1994 waren sie zu hören: die neuen Tenöre.
Das beliebte Dreigestirn Domingo, Pavarotti, Carreras, das in jüngster Zeit eher mit Massenspektakeln als mit Glanzleistungen bei Verdi oder Puccini aufhorchen ließ, wird sich über kurz oder lang auch aus den Arenen und Stadien verabschieden. So glanzvoll Domingo heute noch in seinem neuen, dem Wagnerfach reüssieren mag, so strahlend Pavarottis Höhen immer noch ertönen, die Zeit bleibt nicht stehen.
Selbst echte Qualitätsstimmen wurden regelmäßig grobem Raubbau ausgesetzt. Denken wir an Francisco Araiza, dessen Debüt zum Atemberaubendsten gehörte, was in der Causa Tenornachwuchs zu erleben war, der Triumphe mit Rossini und Mozart feierte und dann den Hoffnungen auf eine herrliche Stimmkarriere eine Absage erteilte. Er verzichtete auf die Entfaltung seines Materials und singt jetzt Wagners Stolzing. Wen wundert's, daß sein letzter Liederabend in Wien wenig vom einstigen Traumtimbre vernehmen ließ?
Auch für Mozart übrigens, wo jüngst Michael Schade in der von Riccardo Muti dirigierten Wiener »Così fan tutte« aufhorchen ließ: kultivierte Technik, schöne, weiche, biegsame Stimme, männliches, aber dennoch zart gefärbtes Timbre - ein Idealfall (im Februar übrigens als Almaviva in Wien avisiert).
Auch Luca Canonici hat mit dem Nemorino sein Publikum erobert, zartbesaitet, aber zu Attacke fähig und optisch von jener Qualität, die unter jungen Damen im Stehparterre Nervosität hervorruft. Dergleichen kann einer Tenorkarriere jedenfalls nicht abträglich sein.
Mochte man angesichts der Miniaturpartie in Verdis Alterswerk noch skeptisch sein, so konnten sich die Besucher der New Yorker Metropolitan Opera jüngst von Vargas' »Rigoletto«-Herzog überzeugen lassen: Dieser junge Mann verfügt nicht allein über eine schöne, in allen Registern gut durchgebildete, bis in höchste Höhen firme Stimme (das C singt er mühelos und frei aus der Brust!), er setzt sie auch mit mehr Raffinement, mit kultivierterer Phrasierung und Pianiotechnik ein als selbst die berühmtesten Kollegen der letzten Jahre hören ließen. Von den Aktiven hat nur Giacomo Aragall in seinen Jugendtagen vergleichbar differenziert und einfühlsam gesungen.
Botha tat's und ließ auch sonst keinen Zweifel, daß er mit seinen gewaltigen Stimmreserven Großes vorhat. Ihm ist, anders als den übrigen hier genannten Hoffnungsträgern, ein baldiger Wechsel ins schwerere Fach zuzutrauen. Da wächst ein neuer Radames heran, der hoffentlich auch in dieses Genre die Lust an der Pianokultur herüberretten wird. Gar nicht so stimmlose Aussichten also, nicht nur für 1995!
Das beliebte Dreigestirn Domingo, Pavarotti, Carreras, das in jüngster Zeit eher mit Massenspektakeln als mit Glanzleistungen bei Verdi oder Puccini aufhorchen ließ, wird sich über kurz oder lang auch aus den Arenen und Stadien verabschieden. So glanzvoll Domingo heute noch in seinem neuen, dem Wagnerfach reüssieren mag, so strahlend Pavarottis Höhen immer noch ertönen, die Zeit bleibt nicht stehen.
Was kommt nach den »drei Tenören«
Was aber wird geschehen, wenn irgendwann um das Jahr 2000 herum Domingo beim besten Willen keinen fünfzigsten Geburtstag mehr feiern kann, wenn die Fangemeinde ihrem »Big P.« auch Playbackveranstaltungen nicht mehr glauben mag? Das war die bange Frage vieler Musikfreunde, die eine tenorale Endzeit witterten.Neil Shicoff
Denn neue Ritter vom Hohen C waren jahrelang nicht in Sicht. Sieht man vom - in dieser Lage vielleicht sogar ein wenig überbewertet - Neil Shicoff einmal ab, erschien kaum einer, der Stimme, Energie, Ausstrahlung genug mitgebracht hätte, um mehr als ein kurzes Sternschnuppendasein zwischen Mailand, Wien und New York zu führen und nach ein paar obligaten »Liebestränken« wieder von der Bildfläche zu verschwinden.Selbst echte Qualitätsstimmen wurden regelmäßig grobem Raubbau ausgesetzt. Denken wir an Francisco Araiza, dessen Debüt zum Atemberaubendsten gehörte, was in der Causa Tenornachwuchs zu erleben war, der Triumphe mit Rossini und Mozart feierte und dann den Hoffnungen auf eine herrliche Stimmkarriere eine Absage erteilte. Er verzichtete auf die Entfaltung seines Materials und singt jetzt Wagners Stolzing. Wen wundert's, daß sein letzter Liederabend in Wien wenig vom einstigen Traumtimbre vernehmen ließ?
Michael Schade
In den letzten paar Monaten aber waren einige Stimmen zu hören, die den Opernfreund wieder aufatmen lassen. Gesetzt den Fall, daß ruinöse Vorbilder ihre abschreckende Wirkung nicht verfehlen, daß also die jungen Künstler nicht von Management und Plattenfirmen ins flüchtige Glück verfrühter »hochdramatischer« Ausflüge gejagt werden, stehen die Zeichen für Rossini, Donizetti, Verdi, Puccini günstig.Auch für Mozart übrigens, wo jüngst Michael Schade in der von Riccardo Muti dirigierten Wiener »Così fan tutte« aufhorchen ließ: kultivierte Technik, schöne, weiche, biegsame Stimme, männliches, aber dennoch zart gefärbtes Timbre - ein Idealfall (im Februar übrigens als Almaviva in Wien avisiert).
Roberto Alagna
A propos Muti: Er probiert immer wieder Nachwuchskünstler aus, hat mit manchen wenig dauerhaftes Glück gehabt. Sein jüngster Tenorliebling aber könnte den Durchbruch schaffen: Robert Alagna, aus Frankreich gebürtig, aber von sizilianischem Blut, singt mit dem entsprechenden Feuer, heißblütig, ein wenig undiszipliniert vielleicht, aber zu allerhand Strahlkraft fähig. In Wien gab er den Nemorino und demonstrierte Charme. Bald ist er für den Herzog in »Rigoletto« aufgeboten und Muti wünscht sich Alagna für seine Neuproduktion von Boitos »Mefistofele« in Mailand und Wien.Auch Luca Canonici hat mit dem Nemorino sein Publikum erobert, zartbesaitet, aber zu Attacke fähig und optisch von jener Qualität, die unter jungen Damen im Stehparterre Nervosität hervorruft. Dergleichen kann einer Tenorkarriere jedenfalls nicht abträglich sein.
Ramon Vargas
Bei Georg Solti war Canonici der Fenton im »Falstaff«, eine Partie, die nur kurz, dafür aber besonders intensiv die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zieht, wovon etwa der Mexikaner Ramon Vargas bei der von Seiji Ozawa geleiteten »Falstaff«-Serie in Wien reichlich Gebrauch machte. Wer da offenen Sinns zuhörte, entdeckte den vielleicht sensationellsten aller neuen Tenöre.Mochte man angesichts der Miniaturpartie in Verdis Alterswerk noch skeptisch sein, so konnten sich die Besucher der New Yorker Metropolitan Opera jüngst von Vargas' »Rigoletto«-Herzog überzeugen lassen: Dieser junge Mann verfügt nicht allein über eine schöne, in allen Registern gut durchgebildete, bis in höchste Höhen firme Stimme (das C singt er mühelos und frei aus der Brust!), er setzt sie auch mit mehr Raffinement, mit kultivierterer Phrasierung und Pianiotechnik ein als selbst die berühmtesten Kollegen der letzten Jahre hören ließen. Von den Aktiven hat nur Giacomo Aragall in seinen Jugendtagen vergleichbar differenziert und einfühlsam gesungen.
Johan Botha
Mit Vargas wird, zu der Aussage gehört nicht viel prophetische Gabe, bald in internationalem Format zu rechnen sein. Mit einem anderen, jüngst erstmals in Wien präsentierten Tenor übrigens auch: Johan P. Botha. Er verblüffte nicht nur das Publikum, sondern wohl auch die Kollegen als Rudolf in Puccinis »Bohème« an der Volksoper. Wann, so fragte man sich da, hat zuletzt ein Tenor das hohe C (ohne Falsett-Trick) im Pianissimo gesungen?Botha tat's und ließ auch sonst keinen Zweifel, daß er mit seinen gewaltigen Stimmreserven Großes vorhat. Ihm ist, anders als den übrigen hier genannten Hoffnungsträgern, ein baldiger Wechsel ins schwerere Fach zuzutrauen. Da wächst ein neuer Radames heran, der hoffentlich auch in dieses Genre die Lust an der Pianokultur herüberretten wird. Gar nicht so stimmlose Aussichten also, nicht nur für 1995!