Jascha Spivakovsky war eines von neun Kindern eines jüdischen Kantors, von denen vier bekannte Musiker wurden. Klavier gespielt hat Jascha bereits mit drei Jahren, mit sechs hörte in → Josef Hofmann und empfahl ihn ans Moskauer Konservatorium, wo an eine Ausbildung für ein jüdisches Kinde nicht zu denken war. So machte er eine Wunderind-Karriere in Odessa, wo für Juden in jener Zeit auch keines Bleibens war, wenn sie nicht um ihr Leben fürchten wollten. Die Spivakovskys gingen nach Deutschland. So kam es zu Studien in Berlin und Leipzig. Vor einer Jury aus Choryphäen wie Busoni, Gabrilowitsch und Godowsky bestand Spivakovsky die schwierigsten Examinationen und erzielt den Blüthner-Preis.
Doch auch Deutschland war mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs kein guter Boden: Spivakovsky wurde als feindlicher Ausländer interniert. Zwar wurde er nach Interventionen bei Kaiser Wilhelm entlassen, durfte aber bis 1918 nicht auftreten. Im Dezember 1918 erschien Spivakovsky dann wieder auf dem Podium - und spielte gleich vier Werke für Klavier und Orchester am selben Abend.
Danach begann eine bemerkenswerte Karriere, die bis zu Engagements durch Richard Strauss nach Wien führte: Der Komponist führte mit dem jungen Pianisten seine Burleskein einem außerordentlichen Konzert der Wiener Philharmoniker auf.
Eine Warnung von Strauss führte nach Machtübernahme durch die Nationalsozialisten auch zur Emigration des Künstlers nach Australien, von wo aus er nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs seine internationale Reisetätigkeit wieder aufnehmen konnte.
Bei Pristine erschienen auf elf CDs die gesammelten Aufnahmen des Pianisten aus mehreren Jahrzehnten, solistisch, mit Orchester und kammermusikalisch mit seinem renommierten Geiger-Bruder Tossy. Sie lassen nachhören, was das Publikum und die Kritik einst an diesem Künstler so fasziniert hat. Immerhin wußte Vladimir Horowitz zu erzählen, daß ihn seine Mutter einst im Kindesalter durch wildes Schneetreiben zum Auftritt eines bereits legendären Wunderkinds gezerrt habe - das war niemand anderer als Spivakovsky.
Trennschärfe
Sein Spiel war von höchster Brillanz und Treffsicherheit, er vermochte in polyphonem Gewirr bei Stimmen perfekt voneinander zu trennen - damit Strukturen hörbar zu machen, bei Bach wie (pianistisch quasi auf höherer Ebene) bei Liszt oder hexenmeisterischen Herausforderungen der russischen Moderne. In Legatophrasen kam bei aller Geschmeidigkeit jedem Ton eigenes Gewicht zu. Die Staccati wirkten demgemäß besonders scharf geschliffen. Und selbst große Klangballungen erscheinen niemals auch nur im geringsten vernebelt.
Nach einem reinen Beethovenprogramm im Jahr 1947 schrieb der Londoner Kritiker Neville Cardus:
Dem Konzert von gestern Abend würde man nicht gerecht, würde man es einfach als Klavierabend bezeichne. Es war eine Erfahrung für Geist und Seele, das Eintauchen eines aufrichtigen Künstlers in Beethovens Welt.