Joseph Hofmann

(1876 - 1957)

Rachmaninow war so überzeugt von Joseph Hofmanns manuellen Fähigkeiten und seiner Geschmackssicherheit als Interpret, daß er Hofmanns pianistische Kunst über die eigene stellte und dem Kollegen das Dritte Klavierkonzerte widmete. Hofmann wiederum war so unbestechlich, daß er dieses ihm zugeeignete Werk nie öffentlich spielte - es schien ihm formal nicht geglückt . . .

Soviel zur Geschmackssicherheit dieses Künstlers, der als ein großer letzter Vertreter der romantischen Klaviertradition ins XX. Jahrhundert hereinragte wie ein Monolith. Wie seine großen Vorbilder pflegte auch Hofmann noch die Tradition, daß ein Pianist bei Recitals von einem Werk zum andern durch improvisierte Überleitungen gelangt - von einer Tonart zur anderen modulierend und die Stimmung des folgenden Stücks vorbereitend.

Hofmann kam aus einem musikalischen Haushalt. Der Vater Kazimierz Hofmann war selbst Pianist, aber auch Komponist und Kapellmeister, die Mutter Sängerin. Der kleine Joseph - oder Józef - konzertierte bereits im Alter von acht Jahren in Warschau und mit zehn in den USA wo er sogleich auf Tournee ging und über den Kontinent von der Ost- zur Westküste innerhalb von zwei Monaten über 50 Konzerte mit immer wieder wechselnden Programmen spielte.

Die kindlichen Virtuosen-Akte waren eine Sensation, riefen aber Kinder-Schützer auf den Plan. Einer der Mitbegründer der Singer-Nähmaschinen-Fabrik spedierte eine namhafte Summe, um dem kleinen Joseph ein geregeltes Klavierstudium zu finanzieren, ohne daß er sein Geld mit Auftritten verdienen mußte. Die Hofmanns gingen nach Berlin, wo Moritz Moszkowski der Lehrer des jungen Mannes wurde. Nach einiger Zeit akzeptierte Anton Rubinstein Hofmann als Privatschüler - er hat das bei keinem anderen jungen Pianisten getan - Hofmann revanchierte sich später, indem er Rubinsteins Klavierkonzerte Nr. 3 und Nr. 4 konseqzent im Repertoire behielt.
Ab Mitte der Neunzigerjahre des XIX. Jahrhunderts war Hofmann von den internationalen Konzertpodien nicht mehr wegzudenken. 1924 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft und wurde bald zum gesuchten Pädagogen. Lange Jahre war er auch Direktor des renommierten urtis Institute (Philadelphia). Seinen letzten Live-Auftritt abslvierte Joseph Hofmann 1946 in der New Yorker Carnegie Hall.

Das Erbe an Aufnahmen, das er hinterließ, gilt Kennern als Missing Link zur Spielkultur der musikalischen Romantik und beweist, daß das Gegenteil des allgemeinen Bildes dieser Kultur wahr ist: Hier herrscht höchste Klarheit, äußererste Beherrschung des Tons und ein technische Meisterschaft, die weit erhaben ist über das, was späteren Generationen als Perfektionsstandard genügte.

Dabei verblüfft stets die Genauigkeit dieses Künstlers, der überzeugt war, daß seine einzige Aufgabe darin bestand, den Notentext so genau wie möglich zu lesen und zu befolgen:

Ich wage es, jedem, der mir vorspielen will, zu beweisen - wenn es sich überhaupt lohnt, ihn anzuhören -, daß er nie mehr spielt als geschrieben steht (was er vielleicht glauben mag), sondern in Wahrheit viel weniger ... Wenn ein Künstler vorsätzlich und dreist sich selbst produziert, durch willkürliches Hinzufügen von Nuancen, Schattierungen und was weiß ich für Effekten, macht er sich der Fälschung schuldig ... Ein Interpret muß sich immer sicher sein, nichts anderes zu spielen als in den Noten steht.



Eine Passage wie der Übergang vom pathetischen Hauptthema zum lyrischen Seitensatz in Rubinsteins Viertem Klavierkonzert kann demonstrieren, mit welch immensem Reichtum Hofmanns Spielkultur diesen Vorsätzen gerecht wurde: Von den machtvollen Klangballungen findet er über fein definierte Staccato-Gänge mit klarer Ausdifferenzierung der führenden Unterstimme zur weit geatmeten, ganz gesanglich phrasierten F-dur-Melodie - deren sanfte Tempomodulationen nota bene auch jenen natürlichen Sinn fürs Rubato-Spiel hören läßt, der schon der folgenden Pianistengerneration vollkommen verloren gegangen ist.



So beitzen wir Dokumente, die den Nachklang der großen romantischen Klaviertradition bergen, ihn aber einem modernen, »sachlichen« Verständnis von Interpretation dienstbar macht.

Nebenbei bemerkt war Joseph Hofmann auch ein fantasievoller Erfinder, der von Autozubehör bis zu einem Wohnhaus auf einer Drehplattform, das sich nach Sonnenstand ausrichten kann, etliche Patente anmeldete.

DA CAPO