Vladimir Horowitz
Die Aufnahmen, die der große Pianist in den späten Achtzigerjahren für die Deutsche Grammophon gemacht hat, liegen erstmals gesammelt auf 180-Gramm-Schallplatten vor.
Horowitz? Natürlich weiß man, wer Vladimir Horowitz war – viele haben ihn sogar noch live erleben dürfen, zumindest als er ganz zuletzt doch noch einmal im Wiener Musikverein konzertierte. Aber die musikalische Größe, die hinter dem magischen Namen steckt, sie wird erst wieder offenbar, wenn man Aufnahmen des Klavier-Titanen zu hören bekommt. Die Deutsche Grammophon brachte soeben fünf LP-Alben der späten Aufnahmesitzungen und Livemitschnitte des Pianisten auf den Markt. Vieles davon erschien damit erstmals auf Vinyl.
Wieder einmal Mozart als Prüfstein
Grund genug, die Erinnerung aufzufrischen. Schon der Einstieg wird auch Kenner überwältigen: Horowitz war noch viel, viel besser, als unser Gedächtnis behauptet. Die sagenhafte Virtuosität hatte ihn auch im hohen Alter nicht verlassen, denn sie war eine Virtuosität der Musikalität, nicht der Schule der Geläufigkeit. Wer Letztere als Richtschnur wählt, wird bei den gefährlicheren Stücken der Sammlung aus Studioproduktionen und Konzertmitschnitten schnell auf Beweise dafür stoßen, dass da ein Künstler jenseits der achtzig spielt – nur, was er abgesehen von dieser oberflächlichen Diagnose aus den Steinway-Tasten zauberte, war auch anno 1985 und später noch einzigartig.
Möchte man wieder einmal Mozart als Prüfstein verwenden, ist das dank der Altersliebe des Pianisten zu diesem Meister möglich, und erregt Staunen: Selbst einfachste zweistimmige Strukturen der C-Dur-Sonate (KV 330) demonstrieren die Trennschärfe von Horowitz' Spiel. Musik, aus dem Klangsinn der romantischen Klavierschule geboren, also prinzipiell in architektonischen Schichten aufgebaut: Wo andere nur Füllstimmen erkennen, führt Horowitz die Linien, jede für sich, melodisch, beleuchtet sie durch farbliche Schattierungskunst, macht so das Gewebe transparent.
Nicht nur durch die vertikale Differenzierung, sondern auch durch feinsinniges Rubatospiel, das zusammengehörige Passagen zu großen, natürlichen, also nie in metronomischem Gleichmaß, Atemzügen werden lässt.
Das Gespür für solche Grundwahrheiten macht angehörs dieser Aufnahmen jegliche Stildiskussion überflüssig: Mozart oder Schubert, Skrjabin oder Liszt – der analytische Blick, der selbstverständliche Fluss der Melodik en gros und en détail „stimmen“, lassen auch die kleinen Szenen von Schumanns „Kreisleriana“ zum großen Seelentheater werden.
Wie durch ein Wunder hat sich der Künstler in seinen letzten Lebensjahren überreden lassen, seiner russischen Heimat noch einen Besuch abzustatten und auch den Bann über die deutschsprachigen Länder zu brechen. Das Hamburger Konzert von 1989 sollte sein letzter öffentlicher Auftritt werden. Die Deutsche Grammophon war dabei. Sie holte den Altmeister auch für Filmaufnahmen, deren Soundtracks dann ebenso wie die letzten Studio-Einspielungen auf CD erschienen.
Nun liegen die späten DG-Alben erstmals gesammelt auch auf Vinyl vor. Dem audiophilen Trend der Zeit folgend, lassen sich Horowitz' späte Trouvaillen nun auch „analog“ nachhören – wobei die Transfers der natürlich digitalen Originalaufnahmen diesmal offenkundig mit Liebe gemacht wurden: Die schweren 180-Gramm-Vinyl-Pressungen klingen famos!