Der Bayreuther RING 2010
Warum Christian Thielemann allein blieb
Thielemanns "Ring" also. Wie jüngst referiert, war der Beitrag der Bayreuther Festspiele zur Rezeption von Richard Wagners "Chef d'OEuvre" ein rein musikalischer. Fünf Spielzeiten stand die Inszenierung von Tankred Dorst auf dem Programm, ohne dass das Publikum allzu viel von einer Regie bemerkt hätte. Dem bedeutenden dramatischen Dichter mangelt es als Regisseur offenkundig an handwerklichem Geschick, um eine über vier Abende gespannte Erzählung stringent oder gar spannungsgeladen abzuwickeln.
Nichts mehr davon. In Sachen Musik hat die Werkstatt Bayreuth ihren Dienst geleistet, wenn auch nur in einer Hinsicht: was die endgültige Entfaltung eines Wagner-Dirigenten zu höchster Blüte betrifft, wenn dieses floristische Bild bei einem Mann wie Christian Thielemann erlaubt ist. Aufgeblüht ist unter seinen Händen jedenfalls der Bayreuther Orchesterklang; und zwar zu einer ans Unglaubliche grenzenden Farbenvielfalt.
Wagners sanfte Übergänge
Die eindrucksvollsten Momente sind jene, in denen sich Wagner als Meister sanft modellierter, stetig entwickelter Übergänge entpuppt. Dann wieder scheinen Klangwelten unterschiedlichster Provenienz jäh aufeinanderzustoßen, ja ineinanderzustürzen - etwa im Übergang zur Nibelheimszene im "Rheingold". Hier zeigt sich, dass interpretatorischer Feinschliff keineswegs nur eine Frage der koloristischen Dimension, sondern auch eine der rhythmischen Sensibilität ist. Selten kann man Schmiederhythmus als "neue Farbe", als geradezu überraschenden, bisher nicht genutzten Erzählton wahrnehmen wie in dieser prägnanten Lesart.
Es ist auch die Unterscheidungskunst feinster rhythmischer Differenzen, die im kapellmeisterisch so ungemein heiklen ersten "Siegfried"-Akt den Gipfelsieg eines Dirigenten garantieren. Übersicht über den architektonischen Gesamtplan dieses aus unzähligen kleinen Zellen gefügten Opernakts hat Thielemann seit Langem wie kaum ein Zweiter. Doch in seinen Bayreuther Jahren gelang es ihm, über diese seine Kenntnisse so souverän zu gebieten wie ein Bergführer, der selbst in unwegsamem Terrain noch sichere Abkürzungen zu begehen weiß. Heute gönnt er sich am Text orientierte Haltepunkte und Rubati, die wohl jeden anderen Interpreten die Gesamtschau aus den Augen verlieren ließen.
Vor allem aber sichert die minutiöse Unterscheidung zwischen Punktierten und Triolenwerten einen Gestaltenreichtum, der jegliche Monotonie-Gefahr bannt.
Einzigartiges Farbkaleidoskop
Darf man einen prominenten Zeitzeugen aus den Uraufführungsjahren benennen, dann siegt Christian Thielemann auf seine Weise über den legendären Hans Richter. Wenn Antonin Dvorak einst aus dem "Siegfried" flüchtete, weil ihn der fortwährend wiederholte Nibelungen-Rhythmus enervierte, dann möchte man mutmaßen, dass dem böhmischen Meister das bei Thielemann nicht passiert wäre und er wohl auch das einzigartige Farbkaleidoskop bei Brünnhildes Erwachen - es wiederholt sich noch ekstatischer bei Siegfrieds Abschiedsgesang - haltlos genossen hätte.
Was von einstigen Generationen als Innovationspotenzial der Wagner'schen Musik empfunden wurde, hört auch der Wagner-Freund anno 2010 wie neu. Stark und immer wieder überwältigend frisch klingt es bei einem solchen Interpreten.
Das große Aber nach so viel haltloser Schwärmerei kann nicht ausbleiben. Der Bayreuther "Ring" der Jahre seit 2006 war nämlich alles andere als ein musikalisches Ereignis - jenseits der orchestralen Schönheiten. Warum ein Mann wie Thielemann, wenn schon die Premiere Probleme erkennen lässt, die "Werkstatt" nicht dazu nutzt, über die Jahre hin eine bessere Besetzung zu finden, sodass am Ende die vokale Komponente annähernd mit der orchestralen gleichziehen könnte, bleibt ein Rätsel. Der drastischen vokalen Aufwertung der Person des Siegmund durch das Engagement von Iohan Botha zum Finale - wovon auch die Liveübertragung im Internet am 21. August profitieren wird - steht eine erschreckende Indifferenz den übrigen Partien gegenüber, die zum Teil bestenfalls auf Stadttheater-Niveau besetzt sind.
Nehmen wir fairerweise die positiven Neuzugänge aus. Christa Mayer singt die Waltraute, vor allem aber die Erda mit schön geführter, edel-dunkler Mezzostimme. Das entspricht den von Thielemann hervorgezauberten, erzählmächtigen Klängen wie - am andern Ende der Ausdrucksskala - die wilden Finsterlingstöne des Hunding von Kwangchul Youn.
Der bubenhafte Siegfried Lance Ryans ist auf der Habenseite zu verbuchen, wenn er auch insgesamt recht ungeschlacht singt, freut er sich über ein sicheres hohes C und bringt damit sogar einen Hauch von Opern-Italianita in die "Götterdämmerung". Welcher Heldentenor kann das schon?
Dass man den sympathischen Tenor wie einen Clown auftreten lässt, dem nur die rote Pappnase fehlt, steht auf dem andern Blatt, das hier so wenig aufgeschlagen sei wie das, auf dem die Unzulänglichkeiten vieler Hauptrollensänger verzeichnet stünden. Es war ja der "Thielemann-Ring". Er geht heuer zu Ende - und findet vielleicht 2019 eine Neuauflage, dann hoffentlich mit adäquater Optik und frischen Stimmen . . .
Nichts mehr davon. In Sachen Musik hat die Werkstatt Bayreuth ihren Dienst geleistet, wenn auch nur in einer Hinsicht: was die endgültige Entfaltung eines Wagner-Dirigenten zu höchster Blüte betrifft, wenn dieses floristische Bild bei einem Mann wie Christian Thielemann erlaubt ist. Aufgeblüht ist unter seinen Händen jedenfalls der Bayreuther Orchesterklang; und zwar zu einer ans Unglaubliche grenzenden Farbenvielfalt.
Wagners sanfte Übergänge
Die eindrucksvollsten Momente sind jene, in denen sich Wagner als Meister sanft modellierter, stetig entwickelter Übergänge entpuppt. Dann wieder scheinen Klangwelten unterschiedlichster Provenienz jäh aufeinanderzustoßen, ja ineinanderzustürzen - etwa im Übergang zur Nibelheimszene im "Rheingold". Hier zeigt sich, dass interpretatorischer Feinschliff keineswegs nur eine Frage der koloristischen Dimension, sondern auch eine der rhythmischen Sensibilität ist. Selten kann man Schmiederhythmus als "neue Farbe", als geradezu überraschenden, bisher nicht genutzten Erzählton wahrnehmen wie in dieser prägnanten Lesart.
Es ist auch die Unterscheidungskunst feinster rhythmischer Differenzen, die im kapellmeisterisch so ungemein heiklen ersten "Siegfried"-Akt den Gipfelsieg eines Dirigenten garantieren. Übersicht über den architektonischen Gesamtplan dieses aus unzähligen kleinen Zellen gefügten Opernakts hat Thielemann seit Langem wie kaum ein Zweiter. Doch in seinen Bayreuther Jahren gelang es ihm, über diese seine Kenntnisse so souverän zu gebieten wie ein Bergführer, der selbst in unwegsamem Terrain noch sichere Abkürzungen zu begehen weiß. Heute gönnt er sich am Text orientierte Haltepunkte und Rubati, die wohl jeden anderen Interpreten die Gesamtschau aus den Augen verlieren ließen.
Vor allem aber sichert die minutiöse Unterscheidung zwischen Punktierten und Triolenwerten einen Gestaltenreichtum, der jegliche Monotonie-Gefahr bannt.
Einzigartiges Farbkaleidoskop
Darf man einen prominenten Zeitzeugen aus den Uraufführungsjahren benennen, dann siegt Christian Thielemann auf seine Weise über den legendären Hans Richter. Wenn Antonin Dvorak einst aus dem "Siegfried" flüchtete, weil ihn der fortwährend wiederholte Nibelungen-Rhythmus enervierte, dann möchte man mutmaßen, dass dem böhmischen Meister das bei Thielemann nicht passiert wäre und er wohl auch das einzigartige Farbkaleidoskop bei Brünnhildes Erwachen - es wiederholt sich noch ekstatischer bei Siegfrieds Abschiedsgesang - haltlos genossen hätte.
Was von einstigen Generationen als Innovationspotenzial der Wagner'schen Musik empfunden wurde, hört auch der Wagner-Freund anno 2010 wie neu. Stark und immer wieder überwältigend frisch klingt es bei einem solchen Interpreten.
Das große Aber nach so viel haltloser Schwärmerei kann nicht ausbleiben. Der Bayreuther "Ring" der Jahre seit 2006 war nämlich alles andere als ein musikalisches Ereignis - jenseits der orchestralen Schönheiten. Warum ein Mann wie Thielemann, wenn schon die Premiere Probleme erkennen lässt, die "Werkstatt" nicht dazu nutzt, über die Jahre hin eine bessere Besetzung zu finden, sodass am Ende die vokale Komponente annähernd mit der orchestralen gleichziehen könnte, bleibt ein Rätsel. Der drastischen vokalen Aufwertung der Person des Siegmund durch das Engagement von Iohan Botha zum Finale - wovon auch die Liveübertragung im Internet am 21. August profitieren wird - steht eine erschreckende Indifferenz den übrigen Partien gegenüber, die zum Teil bestenfalls auf Stadttheater-Niveau besetzt sind.
Nehmen wir fairerweise die positiven Neuzugänge aus. Christa Mayer singt die Waltraute, vor allem aber die Erda mit schön geführter, edel-dunkler Mezzostimme. Das entspricht den von Thielemann hervorgezauberten, erzählmächtigen Klängen wie - am andern Ende der Ausdrucksskala - die wilden Finsterlingstöne des Hunding von Kwangchul Youn.
Der bubenhafte Siegfried Lance Ryans ist auf der Habenseite zu verbuchen, wenn er auch insgesamt recht ungeschlacht singt, freut er sich über ein sicheres hohes C und bringt damit sogar einen Hauch von Opern-Italianita in die "Götterdämmerung". Welcher Heldentenor kann das schon?
Dass man den sympathischen Tenor wie einen Clown auftreten lässt, dem nur die rote Pappnase fehlt, steht auf dem andern Blatt, das hier so wenig aufgeschlagen sei wie das, auf dem die Unzulänglichkeiten vieler Hauptrollensänger verzeichnet stünden. Es war ja der "Thielemann-Ring". Er geht heuer zu Ende - und findet vielleicht 2019 eine Neuauflage, dann hoffentlich mit adäquater Optik und frischen Stimmen . . .