DIE ZWÖLFTON-METHODE
Thomas Mann und Schönberg
Legendär ist das Zerwürfnis zwischen dem Komponisten Arnold Schönberg und dem Dichter Thomas Mann, nachdem dieser der Zwölftontechnik ein Denkmal in seinem Roman Doktor Faustus gesetzt hatte.
Thomas Manns »Meister«, Adrian Leverkühn, vergleicht die Töne der chromatischen Skala mit Buchstaben und die neue, jeder Komposition zugrunde liegende Zwölftonreihe mit einem »Wort« im Zusammenhang mit sprachlicher Dichtung und gibt im 22. Kapitel des Romans Doktor Faustus die folgende Exegese der Methode:
Man müßte (...) aus den zwölf Stufen des temperierten Halbtonalphabets größere Wörter bilden, Wörter von zwölf Buchstaben, bestimmte Kombinationen und Interrelationen der zwölf Halbtöne, Reihenbildungen, aus denen das Stück, der einzelne Satz oder ein ganzes mehrsätziges Werk strikt abgeleitet werden müßte. Jeder Ton der gesamten Komposition, melodisch und harmonisch müßte sich über sein Beziehung zu dieser vorbestimmten Grundreihe auszuweisen haben. Keiner dürfte wiederkehren, ehe alle anderen erschienen sind,. keiner dürfte auftreten, der nicht in der Gesamtkonstruktion seine motivisch Funktion erfüllte. Es gäbe keine freie Note mehr. Das würde ich strengen Satz nennen.
»Zwölftongulasch«
Schönberg nannte Manns dichterische Aneigung ein »Zwölftongulasch« und empörte sich so sehr über den poetischen Versuch, seine Erfindung in einen Zeitroman einzugliedern, daß der Dichter - übrigens auf Anregung Alma Mahlers - in spätere Ausgaben des Doktor Faustus einen Vermerk aufnahm, dem zu entnehmen war, daß Arnold Schönberg der Erfinder und »geistige Eigentümer« jener Zwölftontechnik sei.
Wiederholt hat sich Schönberg auch in seinen Schriften darüber verbreitert, daß Thomas Mann wie viele andere die Methode mißverstanden und die eigentlichen Intentionen nicht begriffen hätte. Vor allem war Schönberg stets darauf bedacht, jede Vorstellung von »mathematisch errechnender« Komponierweise von sich zu weisen. Wann immer er auf dieses Thema zu sprechen kommt, spricht er von der Dodekaphonie als »Hilfsmittel«, das die Inspiration, den Einfall, die künstlerische Vision nicht im geringsten ersetzen könne. Komponiert werde auch nach dieser Erfindung wie vorher. Und wer da meine, mit der neuen Methode könne jeder, der bis zwölf zu zählen vermöchte auch wertvolle Musik schreiben, sei auf dem Holzweg.
Thomas Manns Einsicht
Und doch: Adrian Leverkühns Beschreibung bringt die entscheidenden Momente des dodekaphonischen Gesetzes kurz und bündig auf den Punkt. Er erläutert im weiteren Verlauf des Kapitels sogar die Möglichkeiten der Permutation der Zwölftonreihe, die auch von hinten nach vorne gelesen werden könnte (Krebs), um die eigene Achse gespiegelt (Umkehrung).
Im Kern ist Thomas Manns Beschreibung richtig: Kein Ton darf sich wiederholen, ehe nicht alle anderen elf Töne der Reihe erklungen sind. Das ergibt in der Theorie eine Art „kommunistischer“ musikalischer Material-Organisation und vermeidet vor allem die Herausbildung von Zentraltönen, die, weil sie häufiger als andere Verwendung finden, gewichtiger scheinen könnten als die übrigen, also wieder für eine Art »tonalen Zentrums« sorgen würden.