Ludwig van Beethoven   

Die späten Streichquartette

1826/27

Seit ihren Uraufführungen gelten die späten Streichquartette Beethovens als harte Nuss, die zu knacken erst dem 20. Jahrhundert gegeben war. Der Komponist sprengt hier alle Grenzen der klassischen Form und der harmonischen Gesetze. Die Kühnheiten der Werke op. 127, 130 - 133 und 135 nehmen in manchen Momenten schon die Experimente der musikalischen Moderne des frühen XX. Jahrhunderts vorweg.
Vor allem die Große Fuge op. 133 wütet und tobt wie nichts in der Musikgeschichte vor Schönberg. Wer da in Zeiten der Langspielplatte, die Nadel irgendwo in der Mitte des Stücks auflegte, konnte die anwesenden Musikfreunde raten lassen, von wem diese Musik denn sei. Auf Wiener Klassik tippten nur ausgewiesene Connaisseurs, die ihren Beethoven wirklich in- und auswendig kennen.
Das Stück markiert einen Extremwert der abendländischen Kulturgeschichte. Jedenfalls hält die sogenannte Postmoderne der Ära um das Jahr 2000 dann beinah ausschließlich weniger haarige Höranforderungen bereit - und bestimmt keine einzige Komposition von solch komplexer Architektur.
Überforderung der Hörer war wohl auch der Grund, warum Beethoven das Fugen-Finale aus dem Verband seines sechssätzigen, ohnehin riesenhaft angelegten op. 130 herauslöste und unter separater Opusnummer veröffentlichte. Das nachkomponierte, tänzerisch beschwingte, wenn auch hintergründige Finale entstand nach dem → letzten viersätzigen Streichquartett, op. 135, und ist seine letzte fertiggestellte Komposition.

Faksimile-Edition des B-Dur-Quartetts

Die Genese nachlesen kann man jetzt im Nachwort der bisher schönsten editorischen Tat zum Beethovenjahr: Bärenreiter hat ein Faksimile des B-Dur-Quartetts (mit beiden Finalvarianten) herausgebracht. Erstmals sind da die Manuskript-Teile wieder gesammelt, die der Wind der Zeitläufte wirklich in Bibliotheken in aller Welt verweht hat.
Für Musikfreunde, die des Notenlesens kundig sind, ist es ein besonderes Vergnügen, während einer Wiedergabe des Quartetts im Faksimile zu blättern. Vieles, was ein Druck nicht wiedergeben kann, Nuancen, die nur eine einmal großzügigere, dann wieder dichter werdende Handschrift vermittelt, lässt Beethovens Klangvisionen deutlicher ahnen.

Und der Moment, in dem genau in der Mitte der Partiturseite von Beethovens Hand das Wort „beklemmt“ steht, sorgt wirklich für Beklommenheit: Der Komponist, hat da wohl einen erlittenen Herzanfall in Musik gefasst, der herrlich strömende Melodiefluss der „Cavatina“ kommt gefährlich ins Stocken, findet erst tastend, taumelnd zurück auf den rechten Pfad. Da hört man den Menschen Beethoven, der seinen unscheinbaren Fingerabdruck inmitten der grandiosen Architektur seines Werks hinterlässt - und nun kann man ihn auch sehen . . .

Ludwig von Beethoven:
Streichquartett op. 130, Grande Fugue op. 133.
Bärenreiter Facsimile, 2019.

↑DA CAPO

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