Intolleranza 1960

Luigi Nono (1960/61)

Mario Labroca, der weitblickende Leiter der Biennale Venedig, gab Ende Fünfzigerjahre den Auftrag zur Komposition des ersten großen, auch Singstimmen einbeziehenden Bühnenwerks des Komponisten.

→ Luigi Nono selbst beschrieb sein Werk mit folgenden Worten:

»Intolleranza 1960« ist das Erwachen des menschlichen Bewußtseins bei einem Mann, der sich gegen die Forderungen der Notwendigkeit - eines Bergarbeiters mit Auswanderer - aufgelehnt hat und nach einem Grund und einer 'menschlichen' Lebensgrundlage sucht. Nach mehreren Erfahrungen mit Intoleranz und Herrschaft beginnt er, die menschlichen Beziehungen zwischen sich und anderen wiederzuentdecken, als er von einer Flut mit anderen Menschen mitgerissen wird. Es bleibt seine Gewißheit in einer Zeit, in der der Mensch dem Menschen helfen wird. Symbol? Bericht? Fantasie? Alle drei in einer Geschichte unserer Zeit.




Als Ouvertüre warnt der Chor das Publikum: Im Leben heißt es: Wachsam sein.

I * Bergarbeiterdorf

Der Gastarbeiter beklagt die Qualen im Bergwerk und sehnt sich nach seiner Heimat. Die Frau, die ihm im Dorf Zuneigung und Wärme vermittelt hat, schwört ihm Rache, falls er tatsächlich fortgehen würde.

II * In der Stadt

Bei einer Polizeiaktion im Zuge einer Friedensdemonstration wird der Emigrant verhaftet, obwohl er nicht zu den aktiven Teilnehmern gehörte.

III * Polizeiwache

Beim Verhör bleibt er bei seiner Aussage, er sei lediglich auf der Durchreise in seine Heimat. Gemeinsam mit anderen Verhafteten wird er gefoltert. Der Chor der Gefolterten klagt das Publikum an:

Seid ihr taub? Warum reagiert ihr nicht? Ihr seid wie das Vieh im Stall!

IV * Konzentrationslager

Der Chor ruft nach Freiheit. Die Wärter verhöhnen die Opfer. Der Emigrant beschließt, mit einem anderen Gefangenen, einem Algerier, zu fließen.

V * Nach der Flucht

Die Flucht gelingt. Die Sehnsucht nach der Heimat ist dem Wunsch nach Freiheit gewichen.

Zweiter Teil

I

Von allen Seiten dringen Stimmen auf den Emigranten ein, die von den Absurditäten des Lebens künden. Die Agglomeration von Verboten, Geboten und Nachrichten- Texten explodiert in der Headline „Mutter von dreizehn Kindern war ein Mann!“

II

Eine Frau erhebt ihre Stimme gegen Krieg und Unheil. Der Emigrant will an ihrer Seite für eine bessere Welt kämpfen.

III

Die neue Begleiterin und die Vision der Frau aus dem Bergarbeiterdorf verwandeln sich gespenstische Erscheinungen, die ihn durch einen Alptraum der Intoleranz führen: Auf dem Höhepunkt erscheint der Spruch „Arbeit macht frei“ über dem Eingang des Konzentrationslagers, dem der Emigrant und der Chor ihr „Nie, Nie wieder!“ entgegenschleudern.

IV * Am Flußufer

Der Grenzfluß ist über die Ufer getreten und verwüstet das Land. Die Brücken sind zerstört. Der Emigrant und seine neue Gefährtin sterben beim Versuch, die FLuten zu durchquern einen qualvollen Tod.

Schlußchor: Fragmente aus Bertolt Brechts Gedicht An die Nachgeborenen.
















DA CAPO