Der Gefangene

Il prigioniero

Uraufführung in Florenz, 1950

Musik: Luigi Dallapiccola
Libretto vom Komponisten

Personen der Handlung Die Mutter (Sopran) – Der Gefangene (Bariton) – Der Kerkermeister (Tenor) – Fra Redemptore (stumme Rolle) – Zwei Priester (Tenor, Bariton) – Der Großinquisitor (Tenor) – Chor

Saragossa, Gefängnis der Inquisition, 2. Hälfte des XVI. Jahrhunderts
Handlung

Prolog

Die Mutter ahnt, ihren gefangenen Sohn bald nie mehr wiederzusehen. Im Traum erscheint ihr König Philipp II. in Gestalt des Todes.

In der Gefängniszelle.

Von fern geistliche Gesänge. Der Gefangene im Gespräch mit der Mutter; er ist voll Hoffnung, denn der Kerkermeister hat ihn erstmals mit »Bruder« angesprochen. – Als die Mutter gegangen ist, erzählt der Kerkermeister vom Aufstand der Flamen gegen die Spanier, der früher oder später zum Sturz des Königs führen müsse. Er geht und läßt die Tür weit offenstehen.

In den Gängen des Gefängnisses

Der Gefangene irrt durch die Gänge, versteckt sich voll Angst vor dem Fra Redemptore und zwei Priestern, die sich über den baldigen Tod des Gefangenen unterhalten.

Im Garten

Endlich gelangt er ans Licht und bejubelt die Freiheit. Eine Stimme nennt ihn Bruder - es ist der Großinquisitor. Die »Befreiung entpuppt sich als perfide Form der Folter: Der Gefangene wird zum Scheiterhaufen geführt.

Das Werk

Im Juni 1939 war der Komponist in Paris auf Villiers de l'Isle-Adams Novelle von der »Hoffnung als Folter« gestoßen. Er schreibt:
Nach der Premiere des »Volo di notte« beschloß ich, falls ich den Krieg überleben würde, aus dieser Erzählung eine Oper zu machen.
Der Gefangene wurde in gewisser Hinsicht ein Gegenbild zum Nachtflug, der durchaus im Einklang mit der vom Faschismus zumindest liebäugelnden Bewegung der Futuristen eine Hymne des Fortschrittsglaubens singt.

Mittlerweile stand Dallapiccola freilich längst dem Mussolini-Regime kritisch gegenüber.

Die zeithistorischen Umstände der Ära der Inquisition fand der Komponist auch in Charles de Costers Ulenspiegel-Roman abgebildet, aus dem er manches Details für sein Szenarium entlehnte. Dallpiccola wollte
eine Oper schreiben, die trotz ihrer geschichtlichen Kleidung aktuell sein würde; eine Oper, deren Gegenstand die Tragödie unserer Zeit sein sollte, die Tragödie der Verfolgung, die Millionen und Abermillionen erleiden.
Mitten im Krieg, zwischen Weihnachten und Silvester 1943 schrieb Dallapiccola die erste Fassung seines Librettos, im Jänner 1944 begann er, ausgehend von der zentralen Szene des Kerkermeisters Sull'Oceano, sulla Schelda mit der Komposition. Die Partitur lag nach mehreren Überarbeitungen im Mai 1948 war.

Die Uraufführung dirigierte Hermann Scherchen - und löste heftige Reaktionen aus. Il prigoniero wurde Dallapiccolas meistgespielte Oper. Sie ist formal von souveräner architektonischer Konsequenz: In der strikt symmetrischen Anlage entsprechen der Prolog der Mutter mit dem Gang zum Scheiterhaufen, Chöre umrahmen die zentrale Szene des Kerkermeisters. Die Musik stellt einen Versuch in Dallapiccolas Anverwandlung von Schönbergs Zwölftonmethode dar. Er nutzt drei verschiedene Zwölftonreihen, die leitmotivisch Bitte, Hoffnung und Freiheit symbolisieren - und prinzipiell melodisch eingesetzt werden. Wird die Reihe »umgekehrt«, symbolisiert sie den Umschlag eines Gefühls in sein Gegenteil.

Gianandrea Noseda hat 2020 mit den Kräften des Dänischen Nationalorchesters und -chors und dem ausdrucksstarken Stephan Rügamer in der Titelpartie eine beeindruckende Aufnahme vorgelegt. (Chandos)

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