Die ägyptische Helena
Richard Strauss
Hofmannsthals verwirrendste Operndichtung (1928).
→ Libretto
Hugo von Hofmannsthal hat nach den Sensationserfolgen mit »Elektra«, »Rosenkavalier« und »Ariadne auf Naxos« noch einmal, zum vorletzten Mal, ein Libretto für Strauss gedichtet - und sich dabei allzu sehr in den Schlingen der griechischen Mythologie verfangen.
Wer auch nur den Inhalt, geschweige denn den Text der »Ägyptischen Helena« liest, dem droht eine Verknotung der Gehirnwindungen.
Daß Strauss, der geniale Theaterpraktiker, der Hofmannsthal zuvor immer wieder mit dem Hausverstand des bajuwarischen Bierbrauerkinds in die Schranken gewiesen hat - und später dem geistvollen, doch unkünstlerischen Joseph Gregor bei »Daphne«, »Friedenstag« und »Liebe der Danae« eine kostenfreie, doch schmerzhafte Lektion nach der anderen zum Thema Bühnenpraxis erteilte, daß dieser Praktiker also in diesem Fall nicht eingeschritten ist, daß er Hofmannsthal gewähren ließ und sogar überzeugt war, an einem leichten, geradezu operettenhaften Projekt mitzuarbeiten, zählt zu den faszinierenden Fehleinschätzungen der Musikgeschichte.
(Auch Richard Wagner war ja zunächst überzeugt, mit »Tristan und Isolde« wie mit den »Meistersingern« jeweils leichte, mühelos aufführbare Werke zu schaffen.)
Faible für die Antike
Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, wissen wir seit Goya. Der Schlaf des Realismus gebiert unaufführbare Opern.Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, die beiden hochgebildeten Meister mit ihrem Faible für die geistigen Höhenflüge und die phantastischen Bilderwelten des Altertums, haben schon ihre Zeitgenossen überschätzt; wie viel mehr die Nachgeborenen. Das kulturhistorische Wissen, über das ein Richard Strauss verfügte, das er für völlig selbstverständlich ansah, wäre - existierte es heute überhaupt in einem Kopf - von einer singulären Weite des Horizonts. Der Komponist, um nur ein Beispiel zu nennen, besaß die Propyläen-Ausgabe von Goethes Werken nicht nur, er las sie auch.
Damit ist der Unterschied zum Hier und Heute wohl hinreichend definiert. Und die Mühsal, die es auch für einen wachen Zeitgenossen des XXI. Jahrhunderts bedeutet, einem klugen Stück wie der »Helena« mit Vergnügen zu folgen.
Von den beziehungsvollen Pointen, dem geistreichen Spiel mit Fiktion und Historie, mit Mythos und moderner Beziehungskiste, bekommt der durchschnittliche Opernbesucher der Gegenwart nur einen Bruchteil mit.
Versucht er auch nur die genauer ausformulierte Inhaltsangabe, geschweige denn den Text der »Ägyptischen Helena« liest, droht ihm die rettungslose Verknotung der Gehirnwindungen.
Die Handlung
Also reduzieren wir die Geschichte auf den Kern der Handlung, der tatsächlich verhältnismäßig schnell erklärt ist:Helena, die schönste Frau der Welt, wird nach dem Trojanischen Krieg von Menelas heimgeführt. Die Zauberin Aithra, Geliebte Poseidons, täuscht den rachsüchtigen gehörnten Ehemann durch ein Trugbild: Ein Phantom war's, was Paris einst geraubt und besessen. Der Trojanische Krieg ward um dieses geführt, nicht um die echte Helena, die derweilen sanft in Ägypten schlummerte.
Helena genießt die Früchte dieser Täuschung nur für kurze Frist. Während Wüsten-Herrscher sie umgarnen, will sie wahrhaftig an der Seite ihres Ehemannes leben - oder untergehen.
Menelas, der auf Helenas Bitten mit der ganzen Wahrheit konfrontiert wird, vergibt seiner Frau.
Der »Helena«-Stil
Die zweite Täuschung, der sich Dichter und Komponist hingaben, war der Glaube an Richard Straussens Vermögen, eine leichte, unterhaltende Operettenmusik nach Art der Offenbachschen Griechen- Parodien zu komponieren. Strauss war mit diesem Versuch schon am selbst gezimmerten Libretto von »Intermezzo«, also im kleinbürgerlich deutschen Wohnzimmer gescheitert.Selbstverständlich steht auch die »Helena« in der Tradition der großen nachwagnerischen Musikdramen, versucht freilich eine Versöhnung zwischen den lyrischen Funden der »Rosenkavalier«- Partitur und den zyklopischen Klangarchitekturen der »Elektra«.
Wie beim »Rosenkavalier« muß der Dirigent jedoch die vielen dynamischen Verweise in der Partitur ernst nehmen, um den in den »leichteren« Szenen gemeinten Tonfall auch nur annähernd adäquat zu treffen. In der Regel gewinnt der »Elektra«Tonfall bald Oberwasser.
Die Leuchtkraft, die Strauss in der »Helena« erreicht, ist jedenfalls staunenerrengend. Solche Farbenpracht erreicht er im Musiktheater später nur noch einmal, in der »Daphne«.