Capriccio
Richard Strauss (1942)
In seiner letzten Oper, Capriccio, läßt Richard Strauss im Verein mit seinem Libretto-Compagnon Clemens Krauss mitten im II. Weltkrieg die Frage diskutieren, was in der Oper Vorrang haben solle: Wort oder Ton.
Realitätsverweigerung?
Weltflucht?
Die Handlung spielt im Paris des Ancien Régime. Doch die Uraufführung von Richard Strauss' letzter Oper, Capriccio, fand 1942 in München statt. Mitten im Zweiten Weltkrieg.
Bilanz eines Theaterlebens
Der Komponist zog in diesem Stück sozusagen Bilanz, verpackte Weisheiten über das Musiktheater-Leben in eine Rokoko-Komödie, deren Figuren sich über ihre Liebe zur Kunst definieren.
Gräfin Madeleine, eine junge Witwe, inmitten, umschwärmt von der Männerwelt. Sie kann sich nicht entscheiden, ob sie mehr in den Komponisten Flamand oder in den Dichter Olivier verliebt ist. Um einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden, bestellt sie bei den beiden eine Oper. Derweilen diskutiert man, ob Text oder Musik in dieser Oper der Vorrang gebührt, ob das Orchester zu laut spielt...
Was sich die Besucher der »Uraufführung im Bombenhagel« gedacht haben mögen?
Oper zur Unzeit
Strauss hatte ja eine Hand für Uraufführung-Coups zum ungünstigsten Zeitpunkt. Sein aufwendigstes Werk, Die Frau ohne Schatten, kam 1919 in Zeiten der ärgsten wirtschaftlichen Nachkriegsnot an der Wiener Staatsoper heraus. Später ließ er, als die Wiener Bevölkerung angesichts der desaströsen Finanzlage an Delikatessen nicht denken konnte, im Ballett Schlagobers einen Firmling sich in einer Konditorei eine Magenverstimmung holen.
Frieden im Krieg
München war 1938 Schauplatz der Uraufführung von Friedenstag, der in einem hymnisch-plakativen C-Dur-Finale den Westfälischen Frieden feiert. Davon wollten die deutschen Machthaber ein paar Monate später nichts mehr hören: Am 1. September 1939 brach der Zweite Weltkrieg aus – Friedenstag verschwand von den Spielplänen.
Strauss und der Antisemitismus
Ein anderes Werk von Strauss durfte gar nicht erst im Repertoire ankommen: Die schweigsame Frau erblickte 1936 in der Dresdener Semperoper das Bühnenlicht – und wurde nur viermal gezeigt. Reprisen gab es zwar in Graz, Mailand, Zürich, Prag und Rom. Aber im Dritten Reich war für die neue Komödie kein Platz. Denn der Textdichter war Jude.
Dabei war der Komponist überzeugt, in Stefan Zweig den geradezu idealen Librettisten gefunden zu haben, besser noch als zuvor Hugo von Hofmannsthal, dessen Nachruhm den Nationalsozialisten auch nicht gerade am Herzen lag.
Die Nachwelt rechnet es Strauss hoch an, dass er am Tag der Uraufführung der schweigsamen Frau darauf bestand, den Namen des Dichters auf dem Abendplakat zu lesen. Die wichtigsten Nazi-Größen, schon auf dem Weg zur Premiere, wurden daraufhin »gewarnt« und zogen es vor, der Aufführung fernzubleiben. Aber der Name Stefan Zweig, von dem man schon Bücher verbrannt hatte, prangte in dicken Lettern auf einem deutschen Plakat!
Dieser scheinbare Triumph des Geistes über die Barbarei war von kurzer Dauer. Zweig, längst geflohen, staunte über die Naivität des Komponisten, der ihn zu einer weiteren Zusammenarbeit bewegen wollte. Mit den Jahren musste Strauss freilich erkennen, dass es eine Zumutung bedeutete, einen Emigranten zu Taschenspielertricks überreden zu wollen, um die Behörden zu überlisten.
Stefan Zweigs Ideen
Immerhin: Richard Strauss verdankte Zweig die Anregung zu weiteren Opern, deren textliche Ausarbeitung freilich andere übernehmen mussten. Die Idee zum Friedenstag stammte vom Chronisten der Welt von gestern. Doch diese Welt von vorvorgestern taugte nicht zur Verbesserung der aktuellen Situation. Die Welt von vorgestern wollte man mit einem Sujet beschwören, aus dem später das allen irdischen Kalamitäten hemmungslos entrückte Capriccio werden sollte.
Es war nämlich Zweig, der Strauss auf den historischen friedlichen Opernwettstreit in der Orangerie von Schloss Schönbrunn aufmerksam machte. 1786 standen einander Hofkapellmeister Antonio Salieri und sein Konkurrent Wolfgang Amadé Mozart gegenüber; im wahrsten Sinne des Wortes. An beiden Seitenfronten des Gebäudes waren Bühnen aufgebaut. Auf der einen gab man Mozarts Schauspieldirektor, auf der anderen Salieris Prima la musica e poi le parole nach einem Libretto von Giovanni Battista de Casti, der darin übrigens recht unverhohlen den damals schon fashionableren Lorenzo da Ponte aufs Korn nahm.
In beiden Stücken geht es um das Leben hinter den Kulissen, um die Nöte von Theaterdirektoren mit Sängern, Kapellmeistern, Komponisten und Librettisten. Die sanfte wienerische Variante des Pariser »Buffonistenstreits«: Der Realitätsverweigerung der königlichen französischen Gesellschaft folgte 1789 das blutige Erwachen.
In Wien blieb die ästhetische Diskussion Staffage, vom Kaiserhaus für einen gesellschaftlichen Zweck bestellt, bezahlt und dann gleich wieder ad acta gelegt. Joseph II. war die Kunst zwar ein Anliegen, aber er hatte keine Flausen im Kopf . . .
»Griechischer Germane«
Eher nach Pariser Muster also geriet der Versuch von Richard Strauss, sich der Nazi-Realität durch einen Sprung ins Artifizielle zu entziehen. 1944/45 versank Deutschland in Schutt und Asche.
Strauss, der sein Leben lang an die überragende Stellung der deutschen Kultur geglaubt und sich als „griechischer Germane“ bezeichnet hatte, dem die klassische, auf der Antike aufbauende Bildung das höchste Gut bedeutete, suchte sein Seelenheil im völligen Rückzug. Nach anfänglichen Illusionen war ihm rasch klar geworden, daß Hitler und seinesgleichen Ideale, wenn schon nicht zerstören, so doch bestenfalls pervertieren würden.
Es war der Uraufführungsdirigent der Opern Arabella und Friedenstag, der Wiener Clemens Krauss, dem Strauss vertraute und der ihn bei seinen letzten Schritten in musiktheatralischen Gefilden die Hand reichen sollte. Stefan Zweig wollte und konnte nach der schweigsamen Frau nicht mehr für einen deutschen Komponisten dichten. Der hoch gebildete, doch künstlerisch nicht ebenbürtige Theaterwissenschaftler Joseph Gregor kam für eine weitere Zusammenarbeit nicht infrage. Er hatte Zweigs „Friedenstag“-Entwurf ausgearbeitet, mit „Daphne“ einen eigenen Vorschlag durchsetzen können und zuletzt den noch vom 1929 verstorbenen Hofmannsthal hinterlassenen Entwurf zu „Danae oder Die Vernunftheirat“ zur „Liebe der Danae“ ausgearbeitet, deren Vertonung Strauss im Sommer 1940 beendete – von diesem Werk erlebte er nur noch die „Generalprobe“ einer Salzburger Inszenierung, die wegen der Proklamation des »totalen Kriegs« erst posthum, bei den Festspielen 1952, zur Uraufführung kam.
Die Ausarbeitung des von Zweig angeregten Remakes von Castis „Prima la musica“ wollte der Komponist keinesfalls mit dem vom Dichter selbst vorgeschlagenen „Ersatzmann“ Gregor vornehmen: Das Lustspiel, schrieb Strauss an Zweig, sei
reizend, und ich weiß genau, dass es ausschließlich Ihre Idee ist. Unter getarntem Namen akzeptiere ich sie nicht...
Der Dichter war realistischer. Und es sollte bis 1939 dauern, ehe Strauss wieder auf das Sujet zurückkam, als sich die Partitur der „Danae“ der Vollendung näherte. Joseph Gregor, der schon während der Arbeit an Daphne und Danae allerlei Demütigungen hatte erdulden müssen, sah sich nun nach diversen Versuchen endgültig zurückgewiesen. Clemens Krauss, dem Komponisten dank vieler dramaturgischer Kosmetikaktionen an früheren Werken lieb und vertraut, wurde zum Textdichter. Gemeinsam feilten er und Strauss selbst am Libretto. Wie einst der „Rosenkavalier“, kam das Stück erst knapp vor der Premiere zu seinem endgültigen Titel: Ein Capriccio, ein geistiger Bocksprung ist es ja auch wahrlich geworden, geistreich, voll von Anspielungen, die für heutige Zuschauer mehr als einmal wünschen ließen, dass mit den längst üblichen Übertiteln auch ein verstohlener Klick auf Wikipedia ermöglicht würde.
Und doch: Im komödiantischen Intrigenspiel schwingt so viel an poetisch verschleierter menschlicher Emotion mit, dass mit dem Schlussmonolog der Gräfin alle Sophisterei um Wort, Ton und Orchesterlärm vergessen ist. Am Ende geht es ja doch um die Liebe – nicht nur die Liebe zur Kunst.
Und um die Botschaft, dass es auch im Augenblick der schlimmsten Anfechtung das kulturelle Erbe ist, um das es sich in Europa zu streiten lohnt.
Strauss hielt dieses Finale übrigens für den idealen Abschied von der Opernbühne. Als Clemens Krauss ihm vorschlug, an ein neues Projekt zu denken, antwortete er:
Glauben Sie wirklich, daß nach dem »Capriccio« noch was Besseres oder wenigsten gleich Gutes folgen kann? Ist nicht dieses Des-Dur der beste Abschluß meines theatralischen Lebenswerkes? Man kann doch nur ein Testament hinterlasssen!
Vorgestrig?
Weltvergessen?