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Andrei Serban

Dezember 1999

Andrei Serban inszeniert mit sensationellem Erfolg Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen" an der Staatsoper, nicht ganz so erfolgreich auch Massenets "Werther". Vor der Premiere von Lehárs "Lustiger Witwe" an der Staatsoper sprach d.er Regisseur über das Regietheater und die Wahrhaftigkeit der Operette.
Viel Broadway-Schaum, aber auch viel wahre Unterlage! Seine Produktion von Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen" war der bisher vielleicht größte Erfolg der Ära Holender an der Wiener Staatsoper. Warum Andrei Serban erst jetzt wiederkehrt, weiß er selbst nicht: "Ich wurde nicht eingeladen", vermeldet er lakonisch und verkneift sich weitere Spekulationen über die Frage, wie eine Premiere beschaffen sein muß, daß man im Haus am Ring auf eine Wiederholung Lust verspürt.

Wie auch immer, mit der "Lustigen Witwe" wartet eine enorme Herausforderung auf den rumänischen Künstler. Immerhin kommt diese vielleicht allerbeste Operette der silbernen Ära zum erstenmal in der Staatsoper heraus. Und Wien ist wohl der am meisten "belastete" Theaterboden für einen Operettenregisseur. Serban: "Leicht ist das ja wirklich nicht. Lehar in Wien zu inszenieren ist wie Shakespeare in Stratford. Ich habe mir die ,Lustige Witwe' an der Volksoper angeschaut und ich muß sagen: Die machen das hervorragend dort. Da ist kein theatralischer Snobismus dabei. Das will nicht mehr scheinen, als es ist. Die Leute warten auf die schönen Melodien und die Pointen des Njegus. Und das alles wird serviert, wie man es hier seit Jahrzehnten macht."

Warum also eine Neuinszenierung? "Ich glaube, es kann sehr spannend sein, die Geschichte der Hauptpersonen, Danilo und Hanna, einmal ganz ernsthaft zu erzählen. Ich gebe zu, daß die Dialoge ziemlich dumm wirken, wenn man gerade wie ich aus New York kommt und drei Shakespeare-Stücke inszeniert hat."

Zigarren und Paparazzi

"Aber genau betrachtet ist die Handlung spannend. Mich interessiert die Geschichte. Das muß ganz seriös sein. Das sind zwei Menschen, die einander wirklich lieben und die aus einem ganz banalen Grund nicht zusammenkommen konnten. Jetzt treffen sie wieder aufeinander und die Geschichte ist dadurch kompliziert worden, daß sie mit einem Mal reich ist."

So zeige die erste Begegnung im Stück Frustration auf beiden Seiten. "Es dauert drei Akte lang, bis er ehrlich sagen kann: Ich liebe Dich." Das sei psychologisch äußerst spannend für einen Regisseur und seine Darsteller. Überdies, so Serban weiter, bieten sich interessante Parallelen zur Gegenwart: "Also, daß Staaten im Osten bankrott sind, daß die Finanzwelt wichtig ist, das ist ja ziemlich zeitgemäß. Und ob die Sexskandale im Weißen Haus stattfinden oder in einer Botschaft, wie in diesem Stück, das ist ja nicht wirklich ein Unterschied. Wir haben auch unsere Zigarrenwitze eingebaut." Und die Paparazzi, denn "Hanna ist etwa so populär wie Diana". So viel Zugeständnis an die Lust am Extempore mußte wohl sein.

Der Rest sei ganz ernst: "Ich habe gelesen, daß Ingmar Bergman die Witwe verfilmen wollte - mit Barbra Streisand. Es ist ja wirklich wie ein Bergman-Film. Inmitten einer Hurenwelt finden sich die beiden!" Sicher scheint ihm, daß auf diese Weise zwar ebenso viel "Schaum" erzeugt werden kann wie in jeder wirkungsvollen Broadwaykomödie, nur daß der Schaum in diesem Fall "eine Unterlage hat. Tief drin in dem Stück steht die Wahrheit."

Von allzuviel Verfremdung hält Andrei Serban nichts. "Ich glaube, daß die Mode, Theaterregisseure in der Oper zu beschäftigen, oft ein Verhängnis darstellt. Die hassen die Oper, weil dieses Genre als bürgerlich gilt. Und weil sie gegen alles Bürgerliche sind, müssen sie die Oper vernichten. Ich meine: Es ist in Ordnung, wenn einer meint, so eine politische Attitüde haben zu müssen. Aber die darf er nicht gegen ein Stück verwenden."

Vielmehr müsse eine Inszenierung immer eine "Struktur haben", meint Serban, "die das Stück deutlich erkennen läßt und in der sich auch Sänger, die nicht mit dem Premieren-Regisseur geprobt haben, zurecht finden können." Vielleicht war deshalb Serbans Inszenierung von "Hoffmanns Erzählungen" so erfolgreich, und ein Neil Shicoff hatte keine Mühe, in Placido Domingos Fußstapfen zu treten. Bleibt zu hoffen, daß mit der "Lustigen Witwe" Ähnliches gelingt.

↑DA CAPO