Jean-Louis Martinoty
über seine Wiener Figaro-Inszenierung
16. Februar 2011
Jean-Louis Martinoty, dessen Inszenierung heute an der Staatsoper Premiere hat, hält nichts von oberflächlichen optischen Reizen. So hat er schon Karajan beeindruckt.
Zu Wiener "Figaro"-Produktionen unterhält Regisseur Jean-Louis Martinoty eine lang dauernde Beziehung. Wenn heute, Mittwoch, seine Premiere in der Staatsoper stattfindet, dann ist es beinahe 40 Jahre her, dass er unter den Geburtshelfern der Vorgänger-Inszenierung war.
Und das kam so: Als Assistent Jean-Pierre Ponnelles war er hinter den Kulissen dabei, als Anfang der Siebzigerjahre Herbert von Karajans Salzburger Festspielproduktion erarbeitet wurde. Das war genau jene Inszenierung, die im Mai 1977 im Rahmen der Rückkehr des Dirigenten an die Wiener Staatsoper verpflanzt wurde - und die für mehr als eine Generation von Musikfreunden zum Inbegriff einer "Figaro"-Aufführung wurde.
Martinoty, im Gespräch sympathisch verschmitzt, erinnert sich, wie Ponnelle ihn mit seinen Anmerkungen zu einigen Szenen zu Karajan schickte und er den Festspielgott gar nicht verschüchtert über die Wünsche des Regisseurs aufklärte: "Herr Ponnelle möchte bei diesem Rezitativ dieses und jenes", verkündete er, und die Vasallen des Herrn von Karajan waren entsetzt über den Mangel an Demut. Karajan stellte ihn auf die Probe, fragte ihn über musikalische Details aus - und Martinoty wusste die Antworten. Bei nächster Gelegenheit hörte er, wie Karajan zu Ponnelle sagte: "Der kleine Franzose ist ein guter Mann."
Text, Musik, Hintergründe
Martinoty kennt nicht nur den Text eines Stückes, das er inszeniert, er weiß auch um die Details der musikalischen Umsetzung. Und um die literarischen Hintergründe. So darf man ihn mittlerweile fast als Unikum unter den Opernregisseuren bezeichnen.
Vielleicht ist das eine Generationenfrage. En passant erwähnt er im Gespräch, wie er sich etwa über die Reisegepflogenheiten jüngerer Zeitgenossen wundert. Für ihn, sagt er, sei es noch selbstverständlich, dass man sich für die Geografie eines Landes interessiert, das man besucht, für die Geschichte und die Kultur sowieso. "Aber man hat den Eindruck, den Menschen geht es heute nur noch um die Bilder, die Fotografien, die sie auf Reisen machen können. Gelesen wird bestenfalls der Reiseführer."
Dergleichen Oberflächlichkeiten findet Martinoty auch im Theater. "Ein Teil des Publikums", sagt er, "kommt, um eine Aufführung zu konsumieren wie einen Fernsehkrimi. Man will Reize, eine Show, etwas für die Augen." Bilder eben. "Ich habe nichts dagegen", sagt er, mit traurigem Unterton, denn es entgeht solchen Zeitgenossen viel, das Schönste, das Theater zu bieten hat - das freilich ohne intellektuelle Mühewaltung nicht zu erlangen ist.
Man kann, sagt Martinoty, Theater auch für jene machen, die nur optische Reize suchen. Das sei legitim. "Sein" Theater aber kann mehr. Es soll auch Zuschauer befriedigen, die viel über das Stück wissen. "Da geht es mir nicht nur um jene, die glauben, das Stück zu kennen, weil sie eine CD gehört haben oder eine Inszenierung oft gesehen haben."
Was geschieht im vierten Akt?
20 Mal im "Figaro" gewesen zu sein, das heißt nicht, das Stück wirklich zu kennen. Martinoty: "Ich erinnere mich an die Salzburger Proben von 1972, da begegnete ich einmal im Festspielbezirk Elisabeth Schwarzkopf und Walter Berry, wir sprachen über das Verwirrspiel im vierten ,Figaro'-Akt. Beide meinten: Was da vorgeht, kann kein Zuschauer verstehen."
Kein Wunder also, dass auch Sänger, die Partien oft gesungen haben, stutzen, wenn der Regisseur ihnen plötzlich Dinge abverlangt, die "man" im "Figaro" nicht macht: "Wenn ich der Gräfin sage: Das ist doch Rosina aus dem ,Barbier von Sevilla' während ich erkläre, welche Beziehung zwischen Doktor Bartolo, Figaro und dem Grafen Almaviva besteht, sobald sie erkennt, warum Bartolo plötzlich eine Arie über die Rache singt, dann heißt es: Ach so. Hab ich nicht bedacht. Jetzt versteh ich's."
Wenn die Gräfin zur Zofe wird . . .
Auch das Publikum soll "verstehen", soll nachdenken über die Charaktere und ihre Beziehungen. "Wenn Susanna die Gräfin beobachtet, wie sie nach dem Kleidertausch versucht, eine Zofe zu spielen", das seien ganz spezielle psychologische Konstellationen, die es theatralisch auszuspielen gilt.
Lesen, was Beaumarchais geschrieben hat, was Da Ponte daraus gemacht hat, hören, wie Mozart die Situation komponiert: Das sind die Vorgaben, nach denen das detailverliebte Bewegungskonzept einer Martinoty-Inszenierung erarbeitet wird. In gewisser Weise markiert das den Gegenpol zu den Regie-Verballhornungen, die man heute gern serviert.
Dazu gehört auch die Liebe zum optischen Detail: "In Paris habe ich einmal einem Choristen gesagt: In diesem Stück können Sie keine Brille tragen, tut mir leid, das geht historisch nicht. Er hat gesagt: Ich singe seit 14 Jahren in allen Produktionen und habe immer die Brille getragen. Er hatte über eineinhalb Jahrzehnte lang nur moderne Inszenierungen zu spielen! So ist es: Man kommt im Freizeitlook auf die Bühne. Es gibt junge Sänger, die kauen noch während der Generalprobe Kaugummi." Ihnen klarzumachen, wie sich ein Zeitgenosse Mozarts bewegt? Und dann warten zu müssen, ob das Publikum den Unterschied überhaupt bemerkt? Regisseursarbeit anno 2011 ist offenbar kein Honiglecken.
Zu Wiener "Figaro"-Produktionen unterhält Regisseur Jean-Louis Martinoty eine lang dauernde Beziehung. Wenn heute, Mittwoch, seine Premiere in der Staatsoper stattfindet, dann ist es beinahe 40 Jahre her, dass er unter den Geburtshelfern der Vorgänger-Inszenierung war.
Und das kam so: Als Assistent Jean-Pierre Ponnelles war er hinter den Kulissen dabei, als Anfang der Siebzigerjahre Herbert von Karajans Salzburger Festspielproduktion erarbeitet wurde. Das war genau jene Inszenierung, die im Mai 1977 im Rahmen der Rückkehr des Dirigenten an die Wiener Staatsoper verpflanzt wurde - und die für mehr als eine Generation von Musikfreunden zum Inbegriff einer "Figaro"-Aufführung wurde.
Martinoty, im Gespräch sympathisch verschmitzt, erinnert sich, wie Ponnelle ihn mit seinen Anmerkungen zu einigen Szenen zu Karajan schickte und er den Festspielgott gar nicht verschüchtert über die Wünsche des Regisseurs aufklärte: "Herr Ponnelle möchte bei diesem Rezitativ dieses und jenes", verkündete er, und die Vasallen des Herrn von Karajan waren entsetzt über den Mangel an Demut. Karajan stellte ihn auf die Probe, fragte ihn über musikalische Details aus - und Martinoty wusste die Antworten. Bei nächster Gelegenheit hörte er, wie Karajan zu Ponnelle sagte: "Der kleine Franzose ist ein guter Mann."
Text, Musik, Hintergründe
Martinoty kennt nicht nur den Text eines Stückes, das er inszeniert, er weiß auch um die Details der musikalischen Umsetzung. Und um die literarischen Hintergründe. So darf man ihn mittlerweile fast als Unikum unter den Opernregisseuren bezeichnen.
Vielleicht ist das eine Generationenfrage. En passant erwähnt er im Gespräch, wie er sich etwa über die Reisegepflogenheiten jüngerer Zeitgenossen wundert. Für ihn, sagt er, sei es noch selbstverständlich, dass man sich für die Geografie eines Landes interessiert, das man besucht, für die Geschichte und die Kultur sowieso. "Aber man hat den Eindruck, den Menschen geht es heute nur noch um die Bilder, die Fotografien, die sie auf Reisen machen können. Gelesen wird bestenfalls der Reiseführer."
Dergleichen Oberflächlichkeiten findet Martinoty auch im Theater. "Ein Teil des Publikums", sagt er, "kommt, um eine Aufführung zu konsumieren wie einen Fernsehkrimi. Man will Reize, eine Show, etwas für die Augen." Bilder eben. "Ich habe nichts dagegen", sagt er, mit traurigem Unterton, denn es entgeht solchen Zeitgenossen viel, das Schönste, das Theater zu bieten hat - das freilich ohne intellektuelle Mühewaltung nicht zu erlangen ist.
Man kann, sagt Martinoty, Theater auch für jene machen, die nur optische Reize suchen. Das sei legitim. "Sein" Theater aber kann mehr. Es soll auch Zuschauer befriedigen, die viel über das Stück wissen. "Da geht es mir nicht nur um jene, die glauben, das Stück zu kennen, weil sie eine CD gehört haben oder eine Inszenierung oft gesehen haben."
Was geschieht im vierten Akt?
20 Mal im "Figaro" gewesen zu sein, das heißt nicht, das Stück wirklich zu kennen. Martinoty: "Ich erinnere mich an die Salzburger Proben von 1972, da begegnete ich einmal im Festspielbezirk Elisabeth Schwarzkopf und Walter Berry, wir sprachen über das Verwirrspiel im vierten ,Figaro'-Akt. Beide meinten: Was da vorgeht, kann kein Zuschauer verstehen."
Kein Wunder also, dass auch Sänger, die Partien oft gesungen haben, stutzen, wenn der Regisseur ihnen plötzlich Dinge abverlangt, die "man" im "Figaro" nicht macht: "Wenn ich der Gräfin sage: Das ist doch Rosina aus dem ,Barbier von Sevilla' während ich erkläre, welche Beziehung zwischen Doktor Bartolo, Figaro und dem Grafen Almaviva besteht, sobald sie erkennt, warum Bartolo plötzlich eine Arie über die Rache singt, dann heißt es: Ach so. Hab ich nicht bedacht. Jetzt versteh ich's."
Wenn die Gräfin zur Zofe wird . . .
Auch das Publikum soll "verstehen", soll nachdenken über die Charaktere und ihre Beziehungen. "Wenn Susanna die Gräfin beobachtet, wie sie nach dem Kleidertausch versucht, eine Zofe zu spielen", das seien ganz spezielle psychologische Konstellationen, die es theatralisch auszuspielen gilt.
Lesen, was Beaumarchais geschrieben hat, was Da Ponte daraus gemacht hat, hören, wie Mozart die Situation komponiert: Das sind die Vorgaben, nach denen das detailverliebte Bewegungskonzept einer Martinoty-Inszenierung erarbeitet wird. In gewisser Weise markiert das den Gegenpol zu den Regie-Verballhornungen, die man heute gern serviert.
Dazu gehört auch die Liebe zum optischen Detail: "In Paris habe ich einmal einem Choristen gesagt: In diesem Stück können Sie keine Brille tragen, tut mir leid, das geht historisch nicht. Er hat gesagt: Ich singe seit 14 Jahren in allen Produktionen und habe immer die Brille getragen. Er hatte über eineinhalb Jahrzehnte lang nur moderne Inszenierungen zu spielen! So ist es: Man kommt im Freizeitlook auf die Bühne. Es gibt junge Sänger, die kauen noch während der Generalprobe Kaugummi." Ihnen klarzumachen, wie sich ein Zeitgenosse Mozarts bewegt? Und dann warten zu müssen, ob das Publikum den Unterschied überhaupt bemerkt? Regisseursarbeit anno 2011 ist offenbar kein Honiglecken.