Dezember 1997

Jon Frederic West

Der Heldentenor im Gespräch

Mit 14 schon Liebhaber

Jon Fredric West ist der neue Tristan. Seit seinem Münchner Debüt reißen sich die Opernhäuser um ihn. Nach der Staatsoper erlebt nun der Musikverein den neuen Wagnerhelden. Der Tenor im Gespräch.

Lorin Maazel brachte Jon Fredric West nach Europa. Nach Erfahrungen in amerikanischen Konzertsälen verpflichtete der Dirigent den Tenor für die Wiedereröffnung des Münchner Prinzregententheaters und sorgte damit für eine veritable Sensation: Seit der TV-Übertragung dieses Ereignisses wissen die Operndirektoren, daß es endlich wieder eine neue wagnergeeichte Stimme gibt.

Der Sänger selbst nimmt das gelassen hin: "Ich fühle mich wohl. Mir haben sie schon als ich 14 war, gesagt, daß ich einmal ein dramatischer Tenor werden würde. Und sie haben mich gleichzeitig davor gewarnt. Aber ich habe keine Angst."

Er hat nämlich jahrelang Erfahrung im leichteren Fach gesammelt. Schon mit 16 war er der Rudolf in Puccinis "Boheme". "Das war natürlich eine Aufführung mit Klavierbegleitung". Seit geraumer Zeit übertönt West aber auch vergleichsweise mühelos große Orchesterformationen. "Mit 28 bekam ich ein Angebot von Seiji Ozawa für Tristan. Damals habe ich aber abgelehnt und lieber den Florestan und den Waldemar in Schönbergs ,Gurreliedern' gesungen."

Sein "Coach", wie er das amerikanisch salopp formuliert, war die große Rose Ponselle - "und die hat zu mir gesagt: Warte, bis du 38 bist. Genau das habe ich gemacht. Es ist in Wahrheit ganz einfach: Ich verwende meine Stimme logisch. Auch für Bajazzo, Othello oder Tristan. Das sind eben keine Power-Sänger, sondern psychologisch durchgeformte menschliche Wesen. Wenn man das berücksichtigt, dann erhält man sich die Stimme. Jetzt habe ich also auch viel Wagner gesungen und glaube, daß ich trotzdem noch immer auch ein guter Werther bin."

Verrückte Inszenierungen, mit denen West auch schon konfrontiert war - unser Photo zeigt ihn, worauf wohl niemand käme, ohne es zu wissen, in einer "Bajazzo"-Produktion -, stören den modern denkenden Mann nicht: "Ich mache alles, wenn ich es körperlich kann und, vor allem, wenn es dramaturgisch Sinn hat." Bei Dummheiten ist er bereit zu streiten und abzulehnen.

Mittlerweile hat die Mailänder Scala ebenso zugegriffen wie die Wiener Staatsoper, wo West im September unter Zubin Mehtas Leitung den "Tristan" sang, einige Monate vor seinem programmierten Wien-Debüt, das dieser Tage mit dem konzertanten zweiten "Tristan"-Akt im Musikverein stattfindet. Bayreuth hat schon angefragt . . .



↑DA CAPO