Bernd Weikl

über eine bemerkenswerte Aufführung von Schuberts Winterreise

13. März 1993
Ich weiß schon, daß es sich nicht wirklich schickt, ausgerechnet nach der „Winterreise“ an langbeinige Blondinen zu denken. Aber diesmal sang Bernd Weikl den gemeinhin niederschmetterndsten aller Liederzyklen. Und er war einmal etwas weniger niederschmetternd. An die Blondinen dachte ich dennoch nicht in despektierlichem Zusammenhang.

Sie scheinen mir nur ähnlichen Mißverständnissen ausgesetzt wie dieser Sänger. Will es doch der Volkswitz, daß hübsche Damen von dieser Sorte alles sein dürfen, nur nicht intelligent. Weikl nun scheint in ästhetischer Hinsicht von Gott in vergleichbarer Weise begnadet, besitzt den herrlichsten, in allen Lagen klangschönen Bariton, der sich denken läßt.

So ein Sänger, bleiben wir beim Vergleich, kann doch wohl keine intelligenten Interpretationen anzubieten haben. Das widerspricht allen Klischees. Weikl also mit der „Winterreise“; das kann nicht gutgehen. Ich kann mir die solcherart gelagerten Kritiken, mündlich und schriftlich vorgebracht, gut vorstellen.

Er sang bei seinem Wiener „Winterreisen“-Debüt im Mozartsaal tatsächlich wunderschön, wie man sich's von ihm erwartet. Er brachte freilich für alle, die sich ganz auf ihn einlassen wollten, viel mit, was zu einer intensiven Darstellung dieser „Reise nach innen" notwendig ist. Ungewöhnliches, zugegeben, aber durchaus Zwingendes. Weikls „Winterreise“ geht anders als die von berühmten vorbildhaften Interpreten. Man soll, man darf sie, meine ich, nicht mit solchen vergleichen.

Nimmt man sie, wie sie ist, erlebt man Müllers Text und Schuberts musikalische Visionen dazu, auf weniger resignative als geradzu zynische Art. Weikl singt nicht mit „bildhafter“, expressiv illustrativer Vokalgeste, läßt vielmehr Emotionen hören, die Meldungen aus dem Hinterkopf des erzählenden Subjekts fühlbar werden lassen. Eine andere „Winterreise“, aber unzweifelhaft eine „Winterreise“ von eigenem Rang.

Helmut Deutsch unterstützt dabei am Flügel eines Sinnes mit dem Sänger. Auch er soll nicht mit all den berühmten Pianistengrößen verglichen sein, die diesen Schubert auch schon zartbesaitet aus den Tasten poetisiert haben. Auch er bietet eine eigenwillige, eine schlichte Sichtweise an, die in manchen Passagen einen eigenen Zauber entfaltet - wie entrückt kann da ohne jede Übertreibung die Traumwelt der letzten „Lindenbaum“-Strophe vor uns erstehen; wie schroff sind die innigen Reflexionen schöner, vergangener Tage von der eisigen, gefrorenen Realität „auf dem Flusse“ abgesetzt.

Schlaglichter auf einen Abend, der gewiß Widersprüche auslösen wird. Vorfabrizierte, wie mir scheinen will.


↑DA CAPO