*** SINKOTHEK ** PORTRAIT ***

John Tomlinson

im Gespräch, 1996

Es ist kein Debüt, wie es aussehen mag, aber die erste aufsehenerregende Aufgabe für den 51jährigen Sänger in Wien: Am Sonntag ist er Wotan im "Rheingold", danach der Göttervater in den folgenden "Ring"-Aufführungen.

Bis dato hat John Tomlinson nur sehr wenige Abende in der Staatsoper gesungen, 1992 den Landgrafen im "Tannhäuser", 1997 als Einspringer den Gurnemanz im "Parsifal". "In Wahrheit habe ich aber schon 1987 hier debütiert", erzählt der Künstler, sonor, wie sich das für einen Bassisten gehört, und in fließendem Deutsch: "Als Sarastro in der ,Zauberflöte', aber im Sommer." Damals bespielte die Volksoper das Haus am Ring im Juli mit Mozart. Ungewöhnlich genug, daß ein international voll und ganz mit Wagner identifizierter Künstler in der "Zauberflöte" seinen Einstand feiert.

Daß sich Tomlinson genau an dieses Debüt erinnert, liegt nicht nur an der Adresse, "an der man natürlich gern auftritt", sondern daran, "daß ich damals unmittelbar nach der Aufführung nach Bayreuth gereist bin, um Daniel Barenboim vorzusingen". Der Dirigent hatte sich für seinen neuen "Ring" auf dem grünen Hügel ausdrücklich einen Baß als Wotan ausbedungen und setzte auf diesen, damals vor allem in London aktiven Sänger.

"Als ich den Wotan das erste Mal gesungen habe, war ich gerade 42. Das ist, glaube ich, gerade recht. Man darf nicht zu alt sein für diese Partie. Man braucht viel Kraft. Überrascht war ich schon, als Barenboim mich angerufen hat, denn gewöhnlich kommt ein Wotan eher aus dem Baritonfach, singt vorher vielleicht den Donner oder den Gunther. Ich habe vorher den Fasolt und den Hagen gesungen! Meine Stimme hat sich inzwischen tatsächlich nach oben, aber auch nach unten entwickelt."

Schaden genommen hat er von seinem Göttervater-Wagnis nicht. Mittlerweile ist er der mit Abstand längstdienende Wotan der Bayreuther Festspielgeschichte. Nicht einmal Hans Hotter hat die Partie so oft auf dem grünen Hügel gesungen. Seither hat Tomlinson nur ein Problem: "Was singt man als Baß, wenn man einmal den Wotan und den Hans Sachs im Repertoire hat?"
Es gebe nur wenig, was diesen Rollen inhaltlich und musikalisch an die Seite gestellt werden könnte, meint er: "Unlängst habe ich die Rollen der vier Bösewichte in ,Hoffmanns Erzählungen' gesungen, das ist natürlich wunderbar, schöne Musik, alles o.k. Aber dann kommt man doch wieder zu ,Rheingold', hört die ersten paar Takte vom Orchester und denkt: Na, das ist es doch! Hier bin ich zu Hause."

Der Philipp in Verdis "Don Carlos", der "Boris Godunow", vielleicht auch der Ochs im "Rosenkavalier", das seien Partien, die an Format mithalten könnten. Im übrigen sei für eine Baßstimme im Repertoire nicht allzuviel wirklich Gehaltvolles zu finden. Also wird Tomlinson wohl der Wotan vom Dienst bleiben. So etwa 50 Aufführungen pro Spielzeit will er weiterhin absolvieren, vor allem in Berlin, Bayreuth (im nächsten "Ring" als Hagen) und London.

Einmal hat er auch inszeniert: "Das war als Einspringer in der Opera North in Leeds, wo der Regisseur von Verdis ,Oberto' plötzlich abgesprungen ist. Da habe ich auch Regie geführt. Es hat sogar Spaß gemacht. Obwohl, wenn man in einer solchen Produktion auch mitsingt, kommt irgendwann der Moment, wo man ganz Sänger sein muß." Dennoch ist nicht auszuschließen, daß man Tomlinson auch als Opernregisseur einmal begegnen wird: "Aber das hebe ich mir auf, bis ich nicht mehr singen kann!"

↑DA CAPO