Ludovic Tézier (2021)

Im Sommer 2021 gelang dem Bariton Ludovic Tézier der Puccini-Hattrick: Innerhalb kürzester Zeit sang er in drei verschiedenen österreichischen Städten den Baron Scarpia in »Tosca«: bei den Salzburger Festspielen, in den Grazer Kasematten und an der Wiener Staatsoper.


Im Gespräch erzählte er, wie er zum „Bösewicht vom Dienst“ wurde, und verwies darauf, daß vor allem das Nichtsingen einer Stimme schadet.

Das ist selbst in der ereignisreichen österreichischen Musiktheatergeschichte wohl noch nie vorgekommen: Ein und derselbe Sänger singt an zwei aufeinanderfolgenden Abenden dieselbe Partie in Premieren in zwei verschiedenen Landeshauptstädten. Publikumsliebling Ludovic Tézier war diesen August der Baron Scarpia in den „Tosca“-Produktionen der Salzburger Festspiele und in den Grazer Kasematten. Er sang die Rolle innerhalb von neun Tagen sechs Mal. Zu allem Überfluss wurde Anfang September auch noch Erwin Schrott krank, der den Scarpia in der Eröffnungsvorstellung der neuen Saison an der Wiener Staatsoper singen sollte: Noch einmal war Tézier der Bösewicht vom Dienst.

Dabei ist der Bariton einer der liebenswertesten Sänger im heutigen Musikbusiness, der im Gespräch launig über sein Einspringer-Abenteuer in Graz berichtet: „Am 21. August war die ,Tosca‘-Premiere bei den Salzburger Festspielen. Tags darauf bekam ich zu Mittag die Meldung: Graz braucht einen Scarpia. Man hat mir ein Auto geschickt, das mich nach Graz brachte. Eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn war ich dort.“

Der Rest ist aus hymnischen Kritiken bekannt. Die fordernde Tour war aber noch nicht zu Ende. Am 24. August, nach der zweiten Salzburger Vorstellung, setzte sich Tézier ins Auto und chauffierte sich selbst nach Graz: „Um halb drei Uhr früh war ich dort“, sagt er. Abends die zweite Grazer Aufführung, nächtens zurück nach Salzburg, wo es in der Folge noch zweimal „Tosca“ gibt. Einspringenderweise dann noch zweimal „Tosca“ zum Saisonbeginn an der Staatsoper, wo er geplantermaßen in „La Traviata“ (hier die aktuelle Kritik) und „Otello“ zu erleben ist, ehe er im März 2022 nochmals nach Wien kommt, um den „Rigoletto“ zu singen.

„Verrückte Wochen und Monate“

„Das waren verrückte Wochen“, sagt Tézier, „aber ich habe schon solche verrückten Wochen und Monate erlebt, zum Beispiel damals, als ich in einer Pariser ,Carmen‘-Produktion den Escamillo singen sollte und der Kollege krank wurde, der Cover war. Dann sang ich 15 Tage lang jeden Abend! Aber natürlich ist der Escamillo kein Scarpia und ich musste auch nicht reisen zwischen den Aufführungen. Außerdem waren das Aufführungen, die nicht unter normalen Umständen passierten: Das waren Vorstellungen der Salzburger Festspiele und im Falle von Graz eine TV-Aufzeichnung – und Aufführungen mit tollen Kollegen!“

Tag für Tag zu singen sei hingegen für einen Opernprofi kein Problem: „Wenn wir Proben für eine Neuinszenierung haben, dann ist das eigentlich ganz normal.“ Nicht ganz so normal ist die Beanspruchung, der Tézier zum Saisonstart in Wien ausgesetzt ist. Wiederum „Tosca“ als Ersatz für den erkrankten Erwin Schrott, im selben Zeitraum der Vater Germont in der „Traviata“ und die Vorbereitungen für ein echtes Rollendebüt: Erstmals singt Ludovic Tézier am 22. September den Jago in Verdis „Otello“. „Es ist tatsächlich mein internationales Rollendebüt. Das hätte schon früher stattfinden sollen, aber immer, wenn es geplant war, ist etwas dazwischengekommen.“

Im Wiener Repertoirebetrieb ist die Vorbereitungszeit zwar für einen solchen Einstand denkbar kurz, aber: „Ich kenne Wien, und meine Kollegen sind sehr erfahren auf der Bühne. Das wird mir helfen. Ich werde, wie gewohnt, mein Maximum geben. Wir werden sehen, wie es läuft.“

Von einer Pause ist für den Bariton keine Rede. „Höchstens, wenn wieder ein Lockdown kommt. Ansonsten heißt es: vorwärts, arbeiten, singen.“ Andernfalls hätte es die Stimme schwer, nach einer längeren Auszeit gleich wieder mit schweren Partien zu beginnen. Tézier ist mit Scarpia oder Jago ja bei den größten Kalibern seines Repertoires angekommen. „Ein Stop-and-go-Betrieb ist für die Stimme nicht förderlich“, sagt er, „das wäre so, als würde ein Marathonläufer Urlaub machen und müsste dann sofort die volle Leistung bringen.“

Die Zeiten des globalen Stillstands dank Corona waren nicht nur diesbezüglich höchst problematisch. „Das hat viele Aspekte“, sagt Tézier. Es waren diverse Rollendebüts geplant. Oft haben wir lang probiert, dann aber hat die Premiere nicht stattfinden können. Plötzlich war alles kaputt, andererseits haben sich Möglichkeiten ad hoc ergeben: Manche Theater haben improvisatorisch Premieren geplant, als sie wieder aufsperren durften – so habe ich zum Beispiel die französische Fassung des ,Macbeth‘ in 15 Tagen für Parma gelernt.“

Sieben neue Partien im Lockdown

Insgesamt hat Tézier in der Saison 2020/21 sieben neue Rollen studiert. „Nicht einmal die Hälfte habe ich bisher auf der Bühne gesungen.“

Halsbrecherisch war etwa auch die eine oder andere Streaming-Performance in Zeiten des Lockdowns: „Zum Beispiel der Amonasro in einer ,Aida'-Aufführung ohne Publikum in Paris. Die Partie hatte ich zuvor nur konzertant für eine CD-Produktion gesungen, konnte sie also noch nicht auswendig. Dann kam diese komplexe Inszenierung in Paris.“ Eine Vorstellung für den Livestream. Bezahlt wurde trotz der intensiven Vorbereitungsarbeit natürlich nur dieser eine Abend . . .

„Aber ich finde es gut, dass es immerhin Streaming gibt. Das war ja auch beim Wiener ,Parsifal‘ so, wo man zeigen konnte, dass man eine so aufwendige Produktion in Zeiten wie diesen schaffen kann, auch wenn dann kein Publikum im Saal ist.“

Der Amfortas in diesem Wiener „Parsifal“ war für Ludovic Tézier durchaus ein Versuch, in eine neue Richtung zu gehen. „Ich kann mir schon vorstellen“, sagt er, „im deutschen Fach demnächst mehr zu singen. Das sind aber Herausforderungen, die man reifen lassen muss. Für eine solche Partie ist es gut, wenn ein Sänger Zeit hat, sie langsam zu entwickeln. Das ist überhaupt das Geheimnis einer langen Karriere: niemals forcieren, nichts unter Zwang. Was schwierig scheint, muss letztlich sozusagen von selbst kommen. Die Stimme ist dankbar, wenn man sie respektiert.“



↑DA CAPO