August 1996
Giuseppe Taddei
Allegro vivace mit kleinen Bosheiten
Ein Erzkomödiant im Gespräch
»Falstaff« werden die meisten sagen, wenn es darum geht, spontan die ideale Rolle Giuseppe Taddeis zu nennen. Dem Sänger, der heuer achtzig wurde, fielen im Gespräch noch ganz andere Partien ein - auch solche, die er immer noch singt!Kurz nach seinem triumphalen Salzburger Auftritt - im Zelt des Festes von Hellbrunn -, vor seiner Rückreise nach Rom, präsentierte sich der achtzigjährige Giuseppe Taddei in blendender Laune.
Im Gespräch erweist sich, daß der Jubilar jung geblieben ist.
Sehr jung.
Und daß er als wohl einziger Spitzensänger seiner Generation nach wie vor auf der Bühne steht.
Wie erhält man sich soviel Energien bis in dieses Alter? "Das macht der liebe Gott", sagt Taddei und lächelt verschmitzt: "Außerdem passe ich jetzt langsam beim Essen und Trinken ein bißchen auf." Abgehen läßt er sich dennoch nichts. Er kocht nach wie vor leidenschaftlich gern. Wie auf der Bühne reißt Taddei auch in der Küche die Herrschaft sofort an sich: "Einmal habe ich mit einem Kollegen gekocht, einem berühmten Tenor. Wir haben uns die Arbeit geteilt. Ich habe ihm gleich gesagt: Ich koche, du wäscht ab."
Kein Zweifel, daß es dann genau so gelaufen ist. Sobald Taddei erscheint, beherrscht er die Szene. Wer ihn als lebendigen, zwischendurch auch hintergründig-lausbübischen "Falstaff" oder "Dulcamara" in Erinnerung hat, der kann abschätzen, wie sich ein Gesprächspartner in Taddeis Umgebung fühlt: Wer das parlando vivacissimo nicht durchhält, hat keine Chance.
Aber Taddei ist ein ebenso grandioser Interpret der bösen, abgründigen Charaktere. Wie kann ein so positiver, lebenslustiger Zeitgenosse ein dermaßen überzeugender Jago sein, ein dermaßen schwarzes, unausweichliches "credo in un dio crudel" singen? "Kein Problem", kommt unter strahlendem Lachen die Antwort: "Ich denke einfach an den Direktor der Wiener Staatsoper." Der ist ein Feindbild, weil man im Haus am Ring erst sehr spät an Taddeis Achtziger gedacht hat und ihn lediglich eine Woche vor dem Termin zu einer Vorstellung des "Rigoletto" eingeladen hat, die ihm gewidmet werden sollte.
Mit Intendanten hatte Taddei aber immer seine liebe Not. Der legendäre Met-Chef Rudolf Bing rief ihn, den Berühmten, zum "Vorsingen". Sowas läßt sich ein Giuseppe Taddei nicht gefallen. Da wartet er mit seinem Debüt lieber, bis der Intendant nicht mehr Direktor ist. New York hat er daher erst als 69jähriger erobert. Im Sturm, versteht sich.
Karajan war gleich begeistert
Wien hat Taddei schon 1946 erlebt, Salzburg sah seinen "Figaro" zwei Jahre danach. Und das kam so: "Karajan hat mich bei einem Konzert in Bad Gastein gehört. Und gleich engagiert. Ich bin damals durch ganz Österreich gefahren und habe gesungen. Das war im Rahmen der US-Truppenbetreuung. Da haben wir auch in Gasthäusern improvisiert. So habe ich schon 200 Aufführung in diesem Land absolviert, bevor ich im Theater an der Wien Rigoletto gesungen habe."Über 400 Mal war Taddei an der Staatsoper zu hören. Karajan zählte zu seinen überzeugten Förderern und engagierte den vielseitigen Künstler auch nach Mailand. Zuvor schon war Tullio Serafin, der findigste Sänger-Mentor Italiens, auf Taddei aufmerksam geworden und unterstützte ihn. "Das waren andere Zeiten.
Die Dirigenten haben sich nicht so wichtig genommen. Sänger standen im Zentrum der Oper. Heute, schauen Sie hier in Salzburg, nehmen sich die Intendanten selber am allerwichtigsten. Die jungen Sänger können sich gar nicht entwickeln. Keiner kann ihnen weiterhelfen."
Aber auch den "Drei Tenören" hört und sieht Taddei skeptisch zu: "Ich bin mit Pavarotti befreundet. Aber er singt jetzt schon mit Popsängern. Ich habe ihn angerufen und ihm gesagt: Du singst mit Zucchero? Paß auf, daß du kein Diabetiker wirst!"
Der Humor verläßt Taddei nie. Auch nicht, wenn er sein jüngstes Schallplattenangebot kommentiert: "Ich singe immer noch meine großen Partien, in Pesaro oder Palermo.
Und jetzt fragt mich eine Plattengesellschaft, ob ich mit Pavarotti und Levine eine neue ,Macht des Schicksals' aufnehmen will. Den Marchese di Calatrava soll ich singen. Was soll denn das sein? Eine Dreiminuten-Rolle! Die haben keinen Geschmack, die Leute."
Selber zu singen gefällt dem gar nicht alten Herrn übrigens immer noch besser als zu unterrichten. Er tut das zwar auch zuweilen, aber er lehrt nicht "Singen".
Taddei: "Ich bin kein Maestro di canto. Ich bringe den Sängern höchstens bei, die Psychologie der Individuen zu erfassen. Das ist ganz etwas anderes." Dieses "andere" ist es, mit dem er sein Sängerleben lang seinem Publikum den Atem geraubt hat. Es läßt sich freilich nicht erklären. Taddei weiß das auch: "Man muß dazu geboren sein."