Gerhard Stolze

1926- 1979

als Oberon in Brittens Sommernachtstraum

Er war der herausragende Charaktertenor der Ära nach 1960, unverkennbar in seinem scharfen, prägnanten Timbre und dank extrem intelligenter Gestaltungskraft, die musikalisch wie szenisch höchste Durchdringung des Textes (und Notentextes) garantierte, von allen großen Dirigenten geschätzt.

Was Stolze konnte hört man an seiner Interpretation des David in Wagners Meistersingern von Nürnberg, die in verschiedenen Aufnahmen überliefert ist, am überzeugendsten in der von Hans Knappertsbusch dirigierten Bayreuther Produktion von 1960.

In Bayreuth hat Stolze vom ersten Moment der Neugründung der Festspiele an gesungen: 1951 war er in den von Karajan und Knappertsbusch alternierend dirigierten Meistersingern der Augustin Moser, eine knappe Partie, die er schon zwei Jahre zuvor, 23-jährig, bei seinem Bühnendebüt in Dresden gesungen hatte. In Bayreuth war er 1953 unter Clemens Krauss der Froh im Rheingold, einem Werk, in dem er weltweit in der Folge vor allem den Mime und den Loge singen sollte.

diese beiden Rollen in Wagners Ring des Nibelungen gehörten zu seinen wichtigsten Partien. Für Georg Solti hatte er in der Londoner Produktion den Mime gesungen und in der Folge auch in den legendären Schallplatten-Produktionen der Decca unter Solti auch in Wien.

Herbert von Karajan, der Stolze in vielen wichtigen Charakterpartien einsetzte, holte ihn für sein Salzburger Osterfestspiel-Rheingold als Loge, im Jahr darauf als Mime im Siegfried, - beide Aufführungen wurden vor den Premieren für Schallplatten aufgezeichnet. Anläßlich der Wiederaufnahme und der Verfilmung der Salzburger Rheingold-Produktion war Stolze dann der Mime, den bei der Premiere Erwin Wohlfahrt gesungen hatte. Nun schlüpfte Peter Schreier in die Rolle des Loge.

Für Solti sang Stolze Anfang der Sechzigerjahre bereits den Herodes in Richard Strauss' Salome, eine herausragende Deutung dieser Partie auch das, extrem wortgenau, dabei auf Punkt und Komma den oft herausfordernden Angaben der Partitur verpflichtet.

Experiment »Wozzeck«

In der vielgepriesenen Studioaufnahme von Alban Bergs Wozzeck unter Karl Böhm ist Gerhard Stolze der Hauptmann an der Seite Dietrich Fischer-Dieskaus, gewohnt prägnant, in ätzender Schärfer, dann wieder jammernd und hypochondrisch - eine exzellente Charakterstudie.

nota bene
Was den Wozzeck betrifft, setzte das Werk in der Karriere des Tenors eine bemerkenswerte Wegmarke: Im Frühsommer 1966, ein Jahr nach den Berliner Schallplattenaufnahmen unter Böhm, kam es zu einer vielbeachteten Premiere in Stuttgart, die von Carlos Kleiber dirigierte wurde und in der Stolze nicht den Hauptmann, sondern die Titelpartie sang. Helene Berg, die Witwe des Komponisten, hatte sich in Briefen an die Mutter des Dirigenten vehement dagegen zur Wehr gesetzt, doch Intendant Walter Erich Schäfer bestand - auch gegen Kleibers bedenken - auf Stolze, der wiederum (ganz gegen den Willen des Dirigenten) Irmgard Seefried als Marie durchsetzte. Trotz allen Problemen während der Probenarbeit geriet die Premiere zu einer Sensation: Kleiber war zwar bei einem Autounfall unmittelbar vor Vorstellungsbeginn verletzt worden, dirigierte aber höchst inspiriert und Seefried und Stolze waren ein darstellerischer unschlagpaares Paar von Singschauspielern, musikalisch genug, um auch die Passagen der Partitur, die ihnen nicht lagen (und bei Stolze waren das etliche, denn der Wozzeck ist für einen tiefen Bariton geschrieben!) für das Publikum unmerklich zu umschiffen. Als Musiktheater-Ereignis war die Produktion kaum zu übertreffen und wurde in der Folge zum Edinburgh Festival eingeladen, wo es freilich zum Eklat ka, weil Kleiber die zweite der beiden geplanten Vorstellungen so kurzfristig absagte, daß 1500 verärgerte Menschen nach Hause geschickt werden mußten.

Die unvergleichliche Verbindung aus hoher Musikalität und schauspielerischem Talent machte Stolze zu einem Gesuchten Uraufführungs-Interpreten. Etliche bedeutenden Komponisten schrieben Rollen eigens für ihn. Carl Orff gab seinen Oedipus der Tyrann in Stolzes Hände, nach der in seiner Antigonae in verschiedenen Produktionen die Rolle des Hirten grandios interpretiert hatte.

↑DA CAPO