Nina Stemme

im Gespräch, 2019

„Man braucht dafür Lebenserfahrung, man braucht eine Familie, einen Partner“, sagt Nina Stemme über ihr Debüt als Färbersfrau in der Festpremiere von Richard Strauss' „Frau ohne Schatten“ in der Staatsoper.

Mit der Färberin erobert sich Nina Stemme eine weitere Partie im hochdramatischen Fach. Wie schon bei Brünnhilde, Elektra und Kundry gewährt die schwedische Primadonna der Wiener Staatsoper das Ius primae noctis. Im Gespräch philosophiert sie während der Probenarbeit darüber, warum Hugo von Hofmannsthals Libretto für viele Opernfreunde ein Buch mit sieben Siegeln ist.

Tatsächlich, meint sie, sei die Handlung und vor allem das, was gemeint ist, nicht leicht nachzuvollziehen. „Man braucht sehr viel Lebenserfahrung“, sagt Stemme, „um die Figur der Färbersfrau zu verstehen“ – und die seelischen Konstellationen zwischen dem gutmütigen Färber Barak und seiner Frau, die, so die Sängerin, „ein brüchiger Charakter ist, eine unzufriedene Frau, die sich nicht findet. Die vielleicht hie und da auch ihre Gesangstöne nicht findet, mit denen sie sich ausdrücken kann.“

Auf diese Weise entschlüsselt sich manch scheinbar Unverständliches in der hochkomplexen Partitur. Es gehe darum, „dass die Töne geboren werden aus der Situation“, sagt Stemme, die auch über das viel diskutierte Missverhältnis nachdenkt, das zwischen der Figur und dem Gesangsfach herrscht, das ihr zugedacht ist: „Das ist natürlich im Buch eine sehr junge Frau. Aber wenn das eine sehr junge Sängerin singen sollte, dann kommt sie gleich doppelt in Schwierigkeiten: Man braucht, wie gesagt, Lebenserfahrung, man braucht eine Familie, einen Partner, muss wissen, wie das ist, wenn einmal etwas schiefgeht in einer Beziehung.“

 

Hochdramatik für zarteste Regungen

Und die Anforderungen, die Richard Strauss an die Färberin stellt, weisen ganz eindeutig in ein Stimmfach, das erst ausgereiften Sopranen zugänglich ist, die auch Kraftreserven genug angesammelt haben, den Kampf gegen das große Orchester aufzunehmen. Nicht von ungefähr hat auch Stemmes große schwedische Vorgängerin, Birgit Nilsson, die Färberin erst nach allen anderen großen Strauss- und Wagner-Herausforderungen in Angriff genommen.

Apropos junge Sängerin: „Wenn ich auf die Ratgeber gehört hätte, die gleich am Beginn meiner Karriere prophezeit haben, dass meine Stimme für das schwere Fach prädestiniert sein würde, dann hätte ich solche Partien vielleicht wirklich relativ bald gesungen. Nach der Isolde hat man mich gefragt, als ich gerade meine erste Butterfly gesungen hatte.“ Aber da hat sich etwas in Nina Stemme gewehrt: „Ich wollte eines natürlichen Todes sterben“, sagt sie und relativiert auch gleich wieder: Je länger man an den großen Frauenfiguren arbeiten könne, desto tiefer könne man in die psychologischen Urgründe hinabschauen. „Ich kenne die großen Partien ja jetzt alle, mehr oder weniger. Aber es kommen bei jeder Aufführung neue Schichten dazu, auch wunderbare musikalische Aspekte mit jedem neuen Dirigenten. Unendlich.“

Dennoch sei auch für die entwicklungsfähigste Stimme eine schonende Aufbauarbeit vonnöten. Auch für Stemme stand die Mozart-Erfahrung am Anfang. „Ich habe bei der Pamina Mitte der Neunzigerjahre gemerkt, dass etwas in der Stimme nicht richtig mitmachen wollte, so gut es auch gegangen ist. Aber jedenfalls lernt man bei Mozart alles für das Timing, für die Linie, man lernt zu phrasieren, man lernt, die Stimme auf die jeweilige Tessitura einzustellen – alles, was später zum Beispiel auch für Verdi gut ist.“

 

Vom Turboeffekt einer Sopranstimme

Etwa für die Amelia im „Maskenball“? „Ja“, sagt die Stemme, „aber die hab ich nur einmal gesungen, 2005. Meine Stimme hatte immer schon einen gewissen Turboeffekt in der Höhe. Als es dann doch in Richtung Wagner ging, habe ich den Coach gewechselt, um die Technik anzupassen; man soll ja bekanntlich mit den Zinsen singen, nicht mit dem Kapital.“

Dieser Wechsel ist Nina Stemme offenkundig perfekt gelungen. Auch wenn sie selbst bekennt: „Natürlich merke ich, dass nach vier „Ring“-Zyklen in direkter Folge die Stimme dicker zu werden beginnt. Das Publikum bemerkt es vielleicht gar nicht, aber ich bemerke es. Deshalb ist es für junge Sänger wichtig, so lang wie möglich lyrische Partien zu singen. Mein Coach meinte: Dramatische Stimmen werden nicht geboren, man muss sie entwickeln.“

 

„Strauss ist dialogischer“

Wie sieht Stemme den Unterschied zwischen Wagner und Strauss in Sachen Singstimme? „Strauss ist, ich möchte sagen, dialogischer. Die Silben gehen viel rascher dahin, auch die Sprünge und Lagenwechsel fordern, dass man viel schlanker singt. Obwohl Strauss zumindest seit ,Elektra‘ die Balance gefunden hat, muss man gerade bei der Färberin aufpassen: Oft trägt das Orchester doch sehr dick auf.“

Und wie oft im Jahr mutet Nina Stemme, mittlerweile nur noch im hochdramatischen Segment zu Hause, ihrem Sopran solche Auftritte zu? „Ich zähle zwar nie nach, aber ich glaube, es sind etwa 35 bis 40 Vorstellungen. Das ist ganz schön viel, noch dazu bei so vielen Neuproduktionen, bei denen man ja die Probenzeit mitrechnen muss . . .“



↑DA CAPO