Michaeal Spyres
* 1980
Solche Phänomene gab es in der Ära des Belcanto. Längst aber schien es, als wären sie ausgestorben: Mit Michael Spyres feierte die Spezies des Baritenore ihre Wiederauferstehung: Ein Sänger mit profunder Tiefe und der Möglichkeit, ohne spürbaren Druck in höchste Tenorregionen - auch über dem hohen C - vorzudringen. Erinnert man sich eines Interpreten, der imstande gewesen wäre, an einem Abend den Prolog des Tonio in Leoncavallos Bajazzo und die mit hohen Cs gespickte Arie des Tonio aus Donizettis Regimentstochter zu singen?
Spyres kann das.
Vor allem aber: Er kann es im doppelten Wortsinn. Er bewältigt nicht einfach nur die extrem geweitete Tessitura und die Stimme bleibt in allen Lagen klangvoll. Er beherrscht auch die Gesangstechnik bis in feinste Modulationen, kann die Stimme zu subtilen Piano-Phrasen zurücknehmen und die Registergrenzen bruchlos überbrücken. Auch die im französischen Repertoire nötige - wenn auch von kaum einem Tenor beherrschte - voix mixte mit ihrer Überblendung von Brust- und Kopfregister beherrscht dieser Sänger.
Ein Belcantist im klassischen Sinn des Wortes also, begabt mit heute singulären Stimm-Material. Solche Sänger muß es zu Rossinis Zeiten gegeben haben. Ohne sie wären die entsprechend anspruchsvollen Partien in Armida, Otello oder La Donna del Lago nicht komponiert worden.
Michael Spyres ist diesbezüglich gesegnet mit Arien und Szenen, die er wie kein anderer mit vokalem Leben erfüllen kann. Er ist aber für seine außergewöhnlichen Recitals (in Konzertsälen wie auf CD) immer auf der Suche nach Möglichkeiten zur artifiziellen Stimm-Demonstration. 2021 erschien eine CD mit einer angeblich von Mozart selbst für eine Wiener Reprise seiner Hochzeit des Figaro
arrangierten Version von Szene und Arie des Grafen Almaviva aus dem dritten Akt, »Hai già vinta la causa«, in der 14 Mal das hohe G verlangt wird. Dabei ist der Graf eine Baßpartie - wenn auch für eine heller gefärbte Stimme als die des Figaro; doch den Begriff Bariton gab es zu Mozarts Zeiten noch gar ncht . . .
Auf der selben CD singt Spyres auch die zentrale Arie des Idomeneo, »Fuor del mar«, die Mozart für den Uraufführungs-Tenor Anton Raaf nachweislich vereinfachen mußte - diese Zweitversion wird heutzutage meist gesungen, weil die Tenöre vor den eminenten Ansprüchen der Urfassung nahezu allesamt zurückscheuen. Nicht so Michael Spyres, der sie mit Verve und höchster Kunstfertigkeit gestaltet und sogar noch imstande ist, zur Ausdruckssteigerun im Ausklang noch einige zusätzliche Koloraturen einzufügen.
↑DA CAPO