Anja SILJA

Die große Menschendarstellerin in Gesprächen.

→ I. Vor der Premiere von Die Sache Makropulos, 1993

→ II. im März 2016

24. September 1993
Anja Silja, einst Bayreuths jüngste Heroine, probiert an der Volksoper Janaeks "Sache Makropulos" und verspricht im Gespräch einen veritablen "Opernkrimi".

Christine Mielitz, die schon Schostakowitschs "Lady Macbeth" zum musikalischen Psychothriller stilisiert hat, führt Regie. Sie tut das, glaubt man Anja Silja, mit der Akribie eines Theaterdiktators von Rang: "Jeder Gang, jede Geste ist minutiös vorherbestimmt". Die Silja freilich ist seit frühester Jugend gewohnt, mit Regiegrößen zusammenzuarbeiten und sich dabei durchzusetzen.

"Ich habe", erklärt sie freimütig, "Regisseure lieber, bei denen der Sänger seine Eigenpersönlichkeit einbringen kann. Gegenüber derart festgefügten Konzepten kann man sich nur schwer durchsetzen. Aber wenn jemand so logisch und unwiderleglich argumentiert wie die Mielitz, dann macht man gern mit."
Die Silja hat sich mit der Emilia Marty, der Hauptrolle in der Janaek-Oper - neben der Amme in der "Frau ohne Schatten", Wagners Ortrud oder der Küsterin in Janaeks "Jenufa" - für ihr emormes Repertoire eine weitere Partie erobert.

"Ein bißchen komme ich mir in letzter Zeit selber vor wie diese Emilia Marty", die dank eines geheimen "Lebenselixiers" durch die Jahrhunderte wandert: "Auf Schritt und Tritt begegne ich irgend jemandem, der mir sagt: Ich habe sie vor dreißig Jahren dort und dort gehört." Freilich: Sinnlos und leer wie das künstlich verlängerte Leben der Heldin in Janaeks Oper war die unvergleichliche Bühnenkarriere der Anja Silja wahrhaftig nicht.

Die Künstlern stand schon mit 15 auf der Szene und hat die erstaunlichsten Wandlungen durchgemacht: "Bis 19 habe ich Koloraturpartien gesungen, dann Wagner, aber neben der Isolde immer auch noch die Königin der Nacht. Eine Weile ist das gegangen. Meine letzte große Koloraturpartie war 1966 in Wien die Olympia in ,Hoffmanns Erzählungen'."

Neugierig auf die Kundry

Das offenkundig naturgegebene Bühnentalent der Anja Silja hat schon früh in der Künstlerin die Neugier auf die unterschiedlichsten Partien wachsen lassen. Sie eroberte sich ihre speziellen Deutungen von so unterschiedlichen Rollen wie der Tosca, der Carmen oder der Violetta: "Ich dachte: Das muß man alles zumindest einmal gemacht haben."

Zwei große Rollen könnten für die Silja, die im übrigen wirklich so gut wie alles, was zwischen der Lustigen Witwe und der Brünnhilde in Frage kommen konnte, gesungen hat, noch kommen: "Viel gefragt werde ich wegen Einems Alter Dame. Und anschauen werde ich mir jetzt wieder einmal die Kundry, die mir bis jetzt immer zu viel tiefe Töne enthalten hat."

Die Regisseuse Silja, die mit "Lohengrin" viel Aufsehen erregt hat, macht jedenfalls noch eine Zeitlang der Sängerin Silja Platz: "Nach dem ,Lohengrin' regnete es plötzlich Angebote für Sing-Engagements. Und beides gleichzeitig kann man nicht ernsthaft machen. Also singe ich noch eine Weile."
Gespräch im März 2015

Die Silja auf allen Wiener Bühnen

Im Gespräch. Über die Freuden der Großmutterrolle, die Kunst, gegenüber mediokren Regisseuren subversiv zu wirken und Novitäten, die der Stimme zu hoch oder zu tief liegen.

Anja Silja kehrt in den kommenden Wochen auf zwei Wiener Bühnen zurück: Im Theater an der Wien verkörpert sie, wie schon bei der Bregenzer Uraufführung, die Großmutter in Heinz Karl Grubers Vertonung der "Geschichten aus dem Wienerwald" von Ödön von Horvath. An der Staatsoper wirkt sie an einer Gala mit, in der Neill Shicoff sein 40-Jahr-Bühnenjubiläum im Haus am Ring zelebriert.

Dass die Silja bei der Shicoff-Ehrung dabei ist, hat einen ironischen Zug. Diese findet nämlich am 3. Mai statt, genau 56 Jahre und einen Tag nach dem Staatsoperndebüt Anja Siljas, die damit auf eine bedeutend längere Wiener Karriere zurückblicken kann als der Tenor. "So genau hatte ich das gar nicht im Kopf", sagt sie und lacht: "Ich freu mich jedenfalls, dass ich dabei bin", sagt die Silja und erinnert sich an den gemeinsamen Auftritt in Tschaikowskys "Pique Dame": "Endlich einmal einer, der nicht nur rumsteht und singt", sagt sie über Shicoff. Auf Musiktheater, mit Betonung auf Theater, ist Anja Silja ja seit Jugendtagen geeicht.

Das Regietheater ist gar keines

Deshalb bedauert sie es, dass unter den jungen Opernsängern jene "wieder überhandnehmen, die sich hinstellen und einfach singen, als hätten die großen Regisseure gar nicht gelebt". Diesbezüglich ortet sie einen gewaltigen Rückschritt, obwohl oder gerade weil heutzutage so viel vom Regietheater die Rede ist: "Regietheater kann man das ja nicht nennen", mit Regieführen hätte das, was auf den Opernbühnen derzeit mehrheitlich passiere, gar nichts zu tun: "Es herrscht ein Mangel an Regisseuren", holt sie aus, "denen geht es heute nur um die Optik und was da Spektakuläres zu sehen ist, möglichst Toiletten auf der Bühne oder so was. Was die Sänger dazu machen, ist denen völlig wurscht. Wenn man genauer hinguckt, läuft das immer nach Schema F. Hauptsache, die Leute sagen: toll. Oder: furchtbar. Oder: provokant. Aber es geht dabei nie um die Sänger, nur um das Drumherum."

Was heute als "große Darstellung" eingestuft werde, sei doch meist "eine sportliche Leistung. Die rennen wie wahnsinnig auf der Bühne herum. Das kann man aber nicht als Regietheater bezeichnen! Mit Regie hat das gar nichts zu tun." Freilich: "Es sagt keiner der Sänger Nein. Ich bin da immer die Einzige und stehe auf den schwarzen Listen von Intendanten und Regisseuren. Die Jungen meinen immer: Das können wir uns nicht leisten. Wir müssen mitmachen."

Sie selbst sei auch schon einmal "wirklich ausgestiegen aus einer Produktion. Das war in Spanien. Da wollte ich von Anfang an raus, aber die Intendanz meinte: Nein, Sie sind doch unser Star. Sie müssen bleiben. Dann hab ich mich so dämlich angestellt bei den Proben, dass die doch meinten, ich möge doch bitte lieber gehen, ich würde da nicht reinpassen. Darauf ich: Ja, das sag ich doch die ganze Zeit . . ."

Ganz gleichgültig war ihr das Gefühl, hinausgeworfen worden zu sein, dann auch wieder nicht. Aber "sonst hab ich mich ja immer geeinigt - auch mit minderbemittelten Regisseuren. Ich habe dann meist so eingegriffen, dass die das Gefühl hatten, sie hätten es selbst so erfunden."

Gestalterische Diplomatie könnte man das nennen. Freilich: "In jüngster Zeit hatte ich Glück", erinnert sich Silja mit Freude an ihre erste Zusammenarbeit mit Harry Kupfer, den sie früher mied, "weil ich dachte, bei ihm wird zu viel rumgerannt". Doch anlässlich der Arbeiten an Prokofieffs "Spieler" in Frankfurt stellte sich heraus: "Kupfer ist ein hochgescheiter Mann, kennt die Musik in- und auswendig und weiß auch ungeheuer viel über die zugrunde liegende Dichtung. Solche Regisseure kann man heute an einer Hand abzählen."

Nur böse alte Damen für die Frohnatur

Außerdem sitzt die Großmutter in diesem Stück im Rollstuhl, also war nicht allzu viel Aktionismus zu befürchten. Überhaupt die Großmütter: "Ich bin jetzt auf böse alte Frauen abonniert, war die Gräfin in ,Pique Dame' in Hamburg, die ,Mumie' in Reimanns ,Gespenstersonate', die Großmutter im ,Spieler' - und im Theater an der Wien jetzt wieder die Großmutter." Auch nicht gerade eine Sympathieträgerin.

Dieses Image steht völlig quer zu Siljas privatem Naturell: "Zu meinen Enkeln bin ich ja, glaub ich, sehr nett." An die widerwärtige Horvath-Figur geht Anja Silja nach Noten heran, die Heinz Karl Gruber komponiert hat. Als Teil der Uraufführungsbesetzung hat man den Vorteil, ein wenig mitreden zu dürfen. "Ich habe Gruber angerufen, nachdem ich den Klavierauszug der ersten Szene bekommen hatte: Das war alles recht hoch notiert, und ich meinte: Die Großmama kreischt doch nicht so rum. Darauf Gruber: Dann singen Sie's ruhig eine Terz tiefer, wenn Sie wollen. In der nächsten Szene war dann alles ein bisschen zu tief notiert."

So häufig, wie man annehmen möchte, ist das eminente Bühnentemperament Silja in der Vergangenheit gar nicht für Uraufführungen herangezogen worden: "Ein paar Partien, die ausdrücklich für mich geschrieben waren, von Orff oder Fortner, habe ich dann gar nicht gesungen. In Wien war aber die Uraufführung von ,Kabale und Liebe' von Gottfried von Einem. Das ist dann nie wieder aufgeführt worden."

Dass sie letztlich lieber Wagner oder Strauss gesungen hat, lag vorrangig an der Arbeit mit ihrem Lebenspartner Wieland Wagner, einem Meister des Regietheaters im besten Sinne. Dieserart im Musiktheater sozialisiert zu werden macht süchtig - und sorgt häufig für Enttäuschungen, sobald man mit der heutigen Realität konfrontiert wird.



↑DA CAPO