»Ich habe mich immer gewehrt,
einer vom Dienst zu sein«

Der Tenor im Gespräch

7. April 1994
Peter Seiffert ist, was Timbre und Schmelz betrifft, eine Ausnahme-Erscheinung unter deutschen Tenören. Deutsche Tenöre sind ja zumeist nicht das, was sich der Opernfreund unter einem »typischen Tenor« vorstellt.
Die Italiener, die Spanier haben da in Sachen Timbre und Schmelz Maßstäbe gesetzt, und nur selten erreicht ein »Germane« ähnliche sinnlich-stimmliche Qualitäten. Ihnen glaubt man viel eher den Bachschen Oratorienton als ein erotisierendes »Bella figlia dell'amore .  .  .«

Hin und wieder aber gibt es Ausnahme-Erscheinungen, die solch scheinbar eherne Gesetze durchbrechen und schon auch Arien aus »Tosca« für Platte aufzunehmen wagen dürfen, ohne sich hernach dafür genieren zu müssen. Peter Seiffert ist einer von diesen Raren. 1954 in Düsseldorf geboren, will er alles eher sein als ein »typisch deutscher« Tenor. »Ich habe«, erzählt er gut gelaunt und jovial im Gespräch, »mich immer gewehrt, einer vom Dienst zu sein«.

Eine Zeit lang schien er auf den ebenso undankbaren wie heiklen Matteo in Strauss' »Arabella« festgenagelt: »Den hab ich irgendwie ganz ordentlich hingekriegt«, untertreibt er, denn keiner singt diese Partie heute wie er, »und schon wollten mich alle Theater dafür engagieren. Hab' ich aber nein gesagt«. Nein sagt er auch, wenn man ihn heutzutage überall zum Beispiel nur als »Lohengrin« engagieren möchte. »Ich möchte so vielseitig wie möglich sein.«

Auf Platte ist ihm das schon gelungen. Im Bühnenleben »bleibt das Italienische immer irgendwo auf der Strecke«, meint der doch vor allem auf Mozart, Strauss und Wagner fixierte Star.

Stammhaus Berlin

Und er erklärt auch die an sich heilsame, aber für einen Tenor mit solchen Voraussetzungen erstaunlich ruhige Karriere: "»Mein Stammhaus war eben Berlin. Und Berlin das war wie eine Insel. Da kann man singen wie ein Weltmeister und es geht nicht einmal bis Potsdam. Wenn einer in Berlin schön singt, weiß man in München nichts davon.«

Außerdem sei er selbst, meint er, viel zu »normal«. In unserer »schnellebigen Zeit darf man nicht einfach das tun, was man kann, man muß schon irgendwie Amok laufen, dann ist man im Gespräch.« Mittlerweile hat sich's auch ohne Amoklauf herumgesprochen: Peter Seiffert verfügt über eine der schönsten Stimmen unserer Zeit.

Gerade ist er für eine »Holländer«-Serie in Wien, im Sommer ist er Don Ottavio im neuen Salzburger »Don Giovanni«, in der kommenden Spielzeit kehrt er als Lohengrin nach Wien zurück, dann kommt »vielleicht wieder einmal eine Zauberflöte«. Es seien halt immer die »sporadischen Gastspiele«, obwohl es für ihn, wie er sagt, »schon immer schön ist, in diesem Haus singen zu dürfen. Das ist ja, wenn man jung ist, ein Traum, einmal in der Wiener Staatsoper aufzutreten. Also, es ist nicht so, daß ich in Ohnmacht falle, wenn ich das Haus betrete, aber schön ist es doch.«

Solch grundehrliche Sätze gibt Seiffert, uneitel, wie er ist, im Gespräch von sich. Er berichtet auch amüsiert von seinen Anfängen, die ganz und gar nicht künstlerisch zu werden versprachen: »Ich war ja Orthopädiemechaniker und Physiotherapeut. Meine Gesangslehrerin kam zu Massagen in meine Praxis. Die kannte den Dekan von unserer Musikhochschule. Dem hab' ich dann natürlich gleich die wildesten Dinge vorgesungen, Aida und so. Und er hat gesagt: Sie singen wie ein Zigeuner. Es war wohl so ein bißchen rhapsodisch«. Aber es genügte, um eine außergewöhnliche vokale Begabung zu erkennen.

Immer zurück zu Mozart

Der weitere Weg war, wie's in einer Zeit »ohne väterliche Intendanten« (Seiffert) so sein muß: »Zuerst willst du die Welt erobern: Jetzt komm' ich. Dann fällst du auf die Nase. Und dann entwickelst du dich eben langsam". Dabei müsse man sich heute, allein gelassen, auf seinen Instinkt verlassen, »sonst ist man schnell verschlissen. Ich fang' gerade an mich wohlzufühlen, in einer Zeit, wo andere Kollegen schon am Ende sind.«

Geheimrezept: »Immer wieder zurück zu Mozart. Das ist ja in Wahrheit auch am schwersten zu besetzen. Finden sie mal "'ne gute Besetzung für ,Entführung', eine Konstanze, einen Belmonte. Die plagen sich dann alle. Und am Schluß gibt's ein kleines Appläuschen.«

Frenetischen Jubel wie nach einer Wagner-Oper kann man mit Mozart nicht ernten. Peter Seiffert weiß trotzdem, daß er sich und seiner Stimme Mozart immer wieder schuldig ist. Und seinem Publikum die eigene Zufriedenheit: »Erst wenn man voll ist mit Leben, kann man beim Singen auch was hergeben davon.«

↑DA CAPO