Echte Emotionen, keine Fälschungen

Camilla Nylunds Liederabend in der Staatsoper, Juni 2020

Eine Wagner-Diva erzählt alles über Frauenliebe und -leben.

Liederabende in der Staatsoper? Wenn sich Opern-Stars vor einem auf Oper geeichten Publikum dem intimen Lied-Genre widme, stimmt der Rahmen so wenig wie zumeist auch die stimmliche Potenz der Interpreten.

Zudem wird notorisch behauptet, Opernsänger würden bei solchen Gelegenheiten mit Kanonen auf Spatzen schießen, sobald sie Schubert oder Schumann singen. Das trifft die Sache nur halbwegs. Kanonen, ja. Aber Spatzen?

Camilla Nylund und Helmut Deutsch ließen am vergangenen Montag solche Assoziationen gar nicht erst aufkommen. Gewiss boten zunächst nordische Gesänge, die Macht der idealen Sieglindenstimme so recht auszukosten. Die emotionalen Crescendi in Sibelius' „Flickan kom“ und der „schwarzen Rose“ zollten dem Genius loci genügend Tribut.

Sie ließen aber auch ahnen, wohin die Reise führen würde: Immer wieder nahm Nylund ihren fülligen Sopran ins Piano zurück und bewies, dass er auch in diesen Regionen tragfähig agiert.

Mit Schumanns „Frauenliebe und -leben“ tobten die Stürme dann inwendig. Für die poetisch-zarten Stimmungsbilder einer aufblühenden Liebe fand der Sopran dann ganz ohne breites Vibrato zu feinen, leisen Tönen. Selbst die überschäumende Schwärmerei in Liedern wie „Er, der herrlichste von allen“ verlockte Nylund nicht zur dramatischen Emphase. Dass nicht alle Ziernoten so filigran in die Linienführung eingebunden wurden wie in Originalklangzeiten bei barocken Oratorien üblich, wird nur der kritischste Sachwalter des reinen Liedgesangs anmerken.

Die wohlig-beschauliche Stimmung im „Ring an meinem Finger“, die sanfte Innigkeit des „Seit ich ihn gesehn“ erwiesen die stilistsche Sicherheit der Künstlerin, das ausführliche Klaviernachspiel zum Ausklang verriet, dass Helmut Deutsch auch deshalb ein begnadter Partner für die Sänger ist, weil er weiß, dass es von Robert Schumann auch den „Carnaval“ und die „Kreisleriana“ gibt – und entsprechende Atmosphäre zu erzeugen imstande ist.

Er weiß aus Erfahrung auch genau, wie lange die Harmonien im Ausklang von Richard Strauss' „Morgen“ jeweils nachklingen dürfen, wann der nächste Akkord folgen muss, um die Musik im Fluss zu halten und nicht in Larmoyanz erstarren zu lassen. So bleiben die Gefühle echt, die Camilla Nylunds Gesang freiwerden lässt, entarten nicht in Schaustellerei.

In diesem Sinne bedürfen dann auch die emotionellen Eruptionen einer „Heimlichen Aufforderung“ oder gar einer „Cäcilie“ keines besonderen Nachdrucks: Die Stimme schwingt sich in höchste Höhen, mühelos und strahlend. Der Klang sagt alles.

Nur die naive Geste, die es für Mahlers Frage „Wer hat dies Liedlein erdacht“ bräuchte, steht der Nylund nicht zu gebote. Dafür serviert sie eine große Lehár-Szene so blutvoll, dass man an Marcel Prawys Forderung erinnert wurde: Operette gehört in die Staatsoper.

Ja, genau.

Und zwar mit Interpreten wie Camilla Nylund!

↑DA CAPO