Birgit Nilsson

Töne als Naturereignis: Die Nilsson stand unbeweglich auf der Bühne und sang, verströmte ihre Stimme. Und es war Oper.

Wieland Wagner, der große Psychologe unter den Regisseuren, verstand nur allzu gut, welch enorme Bewegung aus scheinbarer Unbewegtheit geboren werden konnte. Als er in Wien Strauss' Elektra inszenierte, pflanzte er die Nilsson fast statuarisch ins Zentrum, nervös umschwirrt von der choreographisch geführten Schwester Chrysothemis. Die Stimme tat mehr, als tausend hektische Gesten zuwege gebracht hätten.

Wenige Sängerinnen vermochten so viel mit so wenig szenischem Aufwand. Welch immense, bohrende, verzehrende Wirkung eine intensiv gestaltete Phrase, ja ein einzelner, strahlender Ton hervorzubringen kann, war bei dieser Künstlerin zu lernen.

Die Brünnhilde, Isolde, Turandot

Sie war in den 60er und 70er Jahren die erste Wahl im schweren Sopranfach, die Brünnhilde, Isolde, Turandot ihrer Generation. Die Welt kannte sie fast ausschließlich in Heroinen-Gestalt, doch hat sich die Nilsson diese Position mit der ihr eigenen Umsicht und Ruhe langsam erarbeitet. Die ersten Jahre nach ihrer Ausbildung in ihrer schwedischen Heimat widmete sie lyrischen Sopranrollen, ehe sie vorsichtig das dramatische, schließlich hochdramatische Fach eroberte.

Zwei Jahre, bevor sie sich im Theater an der Wien erstmals als Sieglinde präsentierte, war sie in Glyndebourne unter Fritz Busch noch Elektra, freilich nicht die von Strauss, die später zu ihren bevorzugten Partien zählen sollte, sondern jene → in Mozarts Idomeneo.

Mozart hat sie auch noch gern gesungen, als sie längst die Wagner-Primadonna der Opernwelt war. Karl Böhm wählte sie nicht von ungefähr als Donna Anna in seiner Don-Giovanni-Gesamtaufnahme, in der man nachhören kann, welche Dimensionen eine solche Rolle annehmen kann, wenn man sich ihr einmal nicht von der Perspektive des Koloraturfachs her nähert.

Auch Italienisches liebte die Nilsson. Wien hörte sie vor allem eindringlich-abgründig als Verdis Lady Macbeth, spät in der Karriere, die bis Mitte der 80er Jahre dauerte, auch noch einmal als wirkliche Diva von einer Tosca. Und natürlich als Turandot, die sie - anders als das in jenen Jahren tenoral weniger gut belichtete Wagner-Fach - an der Seite so kongenialer Partner wie Franco Corelli sah. Man wird nicht vergessen, wie die große Gestalterin, die hinreißend komisch sein konnte, amüsiert erzählte, was geschah, als ihr des Tenors Sucht nach allzu lang ausgehaltenen Spitzentönen einmal zu viel wurde und sie ihm demonstrierte, wer über den längeren Atem verfügte:

Er wurde rot und grün und blau und wieder rot - und schließlich mußte er dann aufgeben . . .

Wenn sie gewollt hätte, wäre dieses Spiel wohl jedes Mal zu ihren Gunsten ausgegangen!

Später Triumph mit Strauss' Färberin

Ihr legendärer Humor half ihr auch über Krisen und Machtspiele mit Pultprimadonnen vom Format eines Karajan hinweg. Sie saß auf dem längeren Ast. Das wußte sie. Für Bayreuth war sie ohnehin unumgänglich. Die hinreißendsten Wagner-Aufnahmen des Stereo-Zeitalters nennen sämtlich ihren Namen, allen voran die unter Karl Böhm in Bayreuth mitgeschnittenen Einspielungen des Rings und des Tristan.

Einen späten Triumph feierte Nilsson als Färberin in Strauss' Frau ohne Schatten, eine Rolle, die sie sich, glaubt man den Erzählungen ihrer legendären Partnerin Leonie Rysanek, nach einer nicht untypischen, halb ironischen Auseinandersetzung über die Frage erarbeitete, ob sie nicht lieber auch - wie die Rysanek - die Kaiserin in dieser Oper singen sollte. Über Nacht hat Nilsson angeblich die Takte abgezählt und festgestellt: Die Partie der Färberin war in Karl Böhms Strichfassung um einiges länger.

Dem verdankte das Wiener Publikum - nach den für die Nilsson typischen »Einsingvorstellungen« in Stockholm, die in der Regel ihr deklarierter Lieblingsdirigent, Berislav Klobuar dirigierte, bewegende Momente. Man hat sie gottlob für die Ewigkeit festgehalten wie vieles aus der unvergleichlichen Laufbahn dieser außergewöhnlichen Sängerin.

Ihre Abschiedsvorstellung sollte sie als Fäberin geben - doch scheute sie alle Ehrungen und öffentliche Liebesbezeugungen. Bezeichnend, wie die Nilsson von Wien tatsächlich Abschied nahm: Drei Vorstellungen der Strauss-Oper waren angesetzt, die ersten beiden absolvierte die Nilsson im Triumphzug, die dritte - nach der sie ein Blumenregen und endlose Ovationen erwartet hätten - sagte sie ab.

Sie hinterläßt in Tondokumenten auch allen, die nicht das Glück hatten, von der Urgewalt ihrer Stimme in natura überwältigt zu werden, ein reiches Vermächtnis.

In der Hochblüte ihrer Karriere war sie - wiederum nach einer Stockholmer Probephase - die weltbeste Elektra, dokumentiert nicht zuletzt im Livemitschnitt der eingangs erwähnten vulkanösen Premiere der Oper an der Wiener Staatsoper an der Seite von Leonie Rysanek, Regina Resnik und Eberhard Waechter unter Karl Böhm. Eine Sternstunde, mitreißender als die technisch gewiß edlere, ungekürzte Studio-Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern unter Georg Solti.


↑DA CAPO