Ricarda Merbeth

Wie Daphne die Matura machte

Die deutsche Sopranistin im Gespräch über ihre Jugend in der DDR und den unstillbaren Wunsch zu singen.

"Ich habe gesungen, bevor ich sprechen konnte", erinnert sich Ricarda Merbeth an ihre Kindheit in der damaligen DDR. In Chemnitz wurde sie geboren. Und es war, angesichts dieser offenkundigen Musikalität, keine Frage, dass ihr eine künstlerische Ausbildung zuteil werden sollte. In Magdeburg durfte Merbeth ihre Stimme ausbilden lassen - und spät auch die Matura nachholen: "Mein Abitur", erzählt sie, "habe ich 1984 nachgeholt. Vorher durfte ich nicht, denn ich war konfirmiert". Als brave Einwohnerin des kommunistischen Arbeiter- und Bauernparadieses hätte sie dem Sakrament die sogenannte Jugendweihe vorziehen müssen.

Das Gesangsstudium endete im selben Jahr wie der realsozialistische Alptraum, 1989. Freilich: "Meine musikalische Ausbildung war umfangreich und gut", betont die Künstlerin, die gewiss nicht der Typ ist, rückwirkend ungerechte Beurteilungen oder Schuldzuweisungen vorzunehmen. Ricarda Merbeth ist eine stille, bescheidene, also für eine Musiktheater-Exponentin ungewohnt zurückhaltende Erscheinung, die erst auf der Szene ganz aus sich herausgeht.

Politische Ökonomie & Harmonielehre

So hat sie vernünftiger Weise auch ihre Karriere Schritt für Schritt aufgebaut und keine überstürzten Aktionen gesetzt. Inzwischen ist sie längst zu Bayreuther Festspielehren gekommen und singt unter Christian Thielemanns Leitung seit 2002 die Tannhäuser-Elisabeth. Für Wien studierte sie jetzt eine der anspruchsvollsten Partien im deutschen Fach, Richard Strauss' Daphne, der von der Titelheldin seines 1938 uraufgeführten Spätwerks leichte Koloraturen wie gehaltvolle dramatische Ausbrüche verlangt - eine Kombination, die nur für fundiert ausgebildete, gut sitzende Stimmen überhaupt bekömmlich ist.

Ricarda Merbeth denkt an ihre musikalischen Lehrer, vorab an die Sopranistin Annemone Rau, mit Dankbarkeit zurück. "Natürlich haben wir damals auch Sachen wie den so genannten Wissenschaftlichen Kommunismus oder Politische Ökonomie, Wiko und Polök, wie wir's genannt haben, zu absolvieren gehabt. Aber man hat uns musikalisch erstklassig betreut."

Solide Aufbauarbeit in Magdeburg

In Magdeburg war Ricarda Merbeth dann bis 1997 als festes Ensemblemitglied engagiert. "Dort habe ich von der Mimi bis zur Meistersinger-Eva und der Tannhäuser-Elisabeth alles einstudieren und singen können. Auch als das Opernhaus durch eine Brandstiftung ein Raub der Flammen geworden war, spielten wir ,Verkaufte Braut', Wagners ,Liebesverbot' oder ,Anatevka' - wo ich die Oma gesungen habe."

Das war, wie die Künstlerin heute bekennt, "eine schöne Zeit, eine wichtige Zeit für die Entwicklung der Stimme. Wir hatten auch einen sehr guten Generalmusikdirektor, der sich um uns gekümmert hat." Seit 1999 ist Ricarda Merbeth nun Mitglied der Wiener Staatsoper und hat sich hier in einem breiten Repertoire von der Dritten Norn in der "Götterdämmerung" bis zur Donna Anna im "Don Giovanni" vorgestellt.

"Vor zwei Jahren hat mich Direktor Holender gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, die Daphne zu studieren. Ich bin dann nach Hause gegangen, hab' mir die Partie angeschaut, das heißt, ich hab' sie durchgesungen und am Klavier dazu die Harmonien ausprobiert - und ja gesagt."

Auf die Wiener Strauss-Premiere folgen für Ricarda Merbeth Debüts in München (mit den dortigen Philharmonikern unter Thielemann), Dresden und Berlin - auch dort wird Merbeth die Daphne singen.


↑DA CAPO