Evelyn Lear

1928 - 2012

»Man hat mich mit der Aussage zitiert, die Neue Musik hätte mich meine Stimme gekostet. Das ist nicht wahr. Ich hatte nicht die Technik, die nötig gewesen wäre, die Schwierigkeiten der Neuen Musik zu meistern.«

Nicht viele Sänger sprechen so freimütig wie Evelyn Lear über ihre Probleme. Der amerikanische Sproß einer russisch-jüdischen Familie aus Brooklyn kannte keine Hemmungen, weder in ihrer Selbstkritik noch in ihrem Bühnentemperament: Sie wollte singen - und sang. Wenn sie auf dem Podium erschien, konnte sie ihr Publikum davon überzeugen, daß die jeweilige Partie so und nicht anders interpretiert werden mußte. Selbst ein kritischer Geist wie Karl Böhm akzeptierte Evelyn Lear für Schallplattenaufnahmen von Werken seiner Säulenheiligen Mozart (die Pamina in der Berliner Einspielung der Zauberflöte) und Alban Berg (die Wozzeck-Marie und die Lulu.)

Die Lulu stand eigentlich am Anfang der großen Karriere von Evelyn Lear - und zwar dank einer konzertanten Aufführung unter Bruno Maderna in Wien, die den legendären, von Karl Böhm dirigierten Produktionen, die medial verwertet wurden, voranging: Der Otto-Schenk-Inszenierung im Theater an der Wien, (DVD, Arthaus) und der Berliner Premiere, die für Schallplatten mitgeschnitten wurde (DG).

Bei allen technischen Mängeln, die sie selbst - und noch viel mehr die Kritiker - konstatierten: Die Kunst Evelyn Lears, über vokale Färbungen und dynamische Akzentuierung Stimmungen zu vermitteln, Charaktere plastisch werden zu lassen, war eminent. Im Verein mit Erik Werba hat sie einige Liedplatten - und mit ihrem Mann Thomas Stewart auch romantische Vokal-Duette aufgenommen, deren Erlebniswert für den Hörer auch nach Jahrzehnten ungebrochen ist. Diese Sängerin konnte auch den Konzertsaal (oder das Schallplattenstudio) zur Bühne werden lassen.

Mit ihrem Ehemann Thomas Stewart hat Evelyn Lear viele Produktionen gemeinsam absolviert. Mit ihm war sie schon im Rahmen eines Stipendiums nach Europa gereist - die Antwort der beiden, ob sie etwas zu verzollen hätten, ist legendär: Nur Talent.




DA CAPO