Alfredo Kraus

(1927 - 1999)


Sein Singen war nicht einfach virtuos, nicht einfach menschlich, es war immer auch ein Lehrstück in Sachen vokaler Kunstausübung.

Wer diesen Tenor singen hörte, konnte sich erinnert fühlen an alte, längst vergessen geglaubte Regeln des Musiktheaters. Was über die bedeutenden Interpreten jener Zeit nachzulesen ist, in der die Opern eines Rossini, Bellini oder Donizetti zur Uraufführung kamen, schien in unserem Jahrhundert längst nur noch graue Theorie.

Die künstlerischen Anforderungen, die der späte Verdi und in der Folge Meister wie Massenet oder Puccini, jeder auf seine Art, an die Singstimmen stellten, erforderten die sukzessive Veränderung der Stimmkultur. Mehr und mehr wurde mit Druck, mit purer Kraftanwendung gesungen.

Die noble Kunst, eine musikalische Phrase elegant über viele Takte hin zu formen und damit auf subtile Weise dramatischen Ausdruck zu transportieren, wurde von dem verdrängt, was Hermann Broch in ganz anderem Zusammenhang einmal "Seelenlärm" bezeichnet hat.

Dem war Alfredo Kraus sein ganzes Künstlerleben lang abhold. Was mancher Kommentator an seiner Kunst vielleicht als allzu große Zurückhaltung, als Distanz bezeichnen mochte, war in Wahrheit die kluge Rückbesinnung auf beinah' verlorene musikalische Traditionen.

Daß man Alfredo Kraus' Stimme im landläufigen Sinn nicht unbedingt als überwältigend weich, einschmeichelnd oder einfach schön bezeichnen mußte, könnte paradoxerweise sein Startvorteil gewesen sein. Er hat nie simpel aus seinem Timbre Kapital geschlagen.
Er konnte singen.
Und das war in einem weiteren Sinn, in technisch umfassenderer Weise zu verstehen als bei jedem anderen Kollegen.

Wiens Musikfreunde haben die artifizielle Meisterschaft dieses Künstlers nicht allzuoft, aber immerhin in vielen verschiedenen Rollen, von Donizetti über Verdi bis Massenet, kennenlernen dürfen. Und alle seine Auftritte als Feste gefeiert.

↑DA CAPO