Ivan Koslowski

Der gefesselte Caruso des Ostens

23. Dezember 1993
Ivan Koslowski ist tot. Die Nachricht, auf die viele westliche Musikfreunde wohl mit Achselzucken reagieren, bedeutet für echte Belcanto-Freunde nicht mehr und nicht weniger, als daß einer der größten Sänger des Jahrhunderts von uns gegangen ist.

Daß der ukrainische Tenor international nahezu unbekannt geblieben ist, verweist uns nicht zuletzt auf die Folgen des stalinistischen Terrors. Obwohl die Glanzzeit dieses unvergleichlichen Künstlers dank seiner perfekten Technik jahrzehntelang andauern konnte, blieb er ein "sowjetisches" Phänomen.

Seine Auftritte im Westen sind an einer Hand mühelos abzuzählen. Im Gespräch mit der "Presse" vor einigen Jahren erinnerte sich der Künstler, einmal auch in Wien gewesen zu sein, "in einem Saal, ganz aus Gold." Den Musikverein, in dem er einmal für russische Besatzungssoldaten sang, hätte Koslowski wie alle Podien der Welt im Sturm erobert. Die Zeitläufte haben das verhindert.

Koslowski, der in jungen Jahren mit eigener Operntruppe und modernsten Inszenierungen durch seine Heimat gezogen war, blieb als Star des Bolschoitheaters Objekt geradezu kultischer Verehrung. Schon der Bühneneingang war stets blumenübersät, wenn er in einer Vorstellung angesetzt war. Ein Ehrenplatz war auch im großen Konservatoriumssaal bis zuletzt stets für ihn reserviert.

Almaviva bis Lohengrin

Sein Repertoire reichte von Rossinis Almaviva über Wagners Lohengrin bis zum Rudolf in "La Bohème". Und all das ist gottlob auf Platten ausschließlich in russischer Sprache - überliefert, auf daß die Nachwelt erfahre, daß der klassische Ziergesang des Bel canto entgegen anderslautenden Gerüchten im zwanzigsten Jahrhundert noch nicht ausgestorben war.

Wo die Konkurrenz im Westen mit gradlinigen Stimmen und ein und denselben Ausdrucksmitteln den unterschiedlichsten Partien beizukommen versuchte und versucht, umjubelt von Publikum und Kritikern, die's halt nicht anders wissen, weil ihnen nie mehr Differenzierteres geboten wird, pflegte Koslowski die stilistische Vielfalt, sang Rossinis Koloraturen mit ebensoviel nuancenreichem Feingefühl wie er für Massenets verzehrende Phrasen den rechten, reich modellierten Wohllaut mitbrachte - den Reichtum einer an sich eigenwilligen, geradezu androgyn gefärbten Stimme vielgestaltig, aber niemals artifiziell einsetzend, wie ein kluge Frau ihr Parfum zu dosieren weiß.

Daß er sich überdies leisten konnte, etwa in "Ecco ridente" Koloraturen einzulegen, vom hohen F (!) bis zu einem drei Oktaven tiefer liegenden Ton blitzsaubere Tongirlanden zu schlingen, gehörte zum souveränen Bild des Stimmbeherrschers wie seine geradezu tiefenpsychologische Darstellung des Blödsinnigen in "Boris Godunow", die sogar als Filmdokument überliefert ist: Es vermag dem Betrachter wie dem Hörer gleichermaßen den Atem zu rauben.

"Das süße Lied" verhallt, sang er als Lohengrin, wie er zuvor als Herzog jauchzend die hedonistische Lebenslust besungen oder als Lenski verzweifelt mit dem Schicksal gehadert hatte.

Am Dienstag ist Ivan Koslowski 93jährig in Moskau gestorben. Dank seines Plattenerbes werden noch Generationen von Freunden der Gesangskunst sein Andenken in Ehren halten.

↑DA CAPO