Traum-Sopran mit Herz und Hirn

Große Bühnen-Gestalterin und sensible Lied-Interpretin: Christiane Karg im Gespräch nach ihrem Erfolg an der Wien, vor ihrem Recital im Musikverein.

Februar 2011
»Das ist meine erste Phase ohne Oper seit Langem«, sagt Christiane Karg, wenige Tage nach ihrem letzten Auftritt in der Rameau-Produktion »Castor und Pollux« an der Wien - und kurz vor ihrem Liederabend im Brahmssaal des Musikvereins. Am Mozarteum bei Heiner Hopfner und Wolfgang Holzmair ausgebildet, stand die bayerische Sängerin im Mozart-Jubiläumsjahr 2006 blutjung bereits in mehreren Produktionen auf der Salzburger Festspiel-Bühne. In Glucks »Orpheus« unter Muti war sie im Vorjahr der Amor, heuer kehrt sie als Zerlina im »Don Giovanni« zurück, ist also bereits Fixstarterin im Festspiel-Sommer.

Jubel-Kritiken. Zwischendrin war Christiane Karg Mitglied des Hamburger Opernstudios, debütierte in der Bayerischen Staatsoper und heimste in so unterschiedlichen Partien wie der Norina in Donizettis »Don Pasquale« oder der Musette in Puccinis »Boheme« Jubel-Kritiken ein. »Ich hatte wirklich seit meinem Start in Hamburg keinen Urlaub mehr. Aber, ehrlich gesagt, wenn man keine Partien singt, die einen überanstrengen, dann braucht man nicht so viele Ruhephasen.«

Außerdem hat Christiane Karg ihre speziellen Entspannungstechniken entwickelt: »Ich kann auch im Zug mal drei, vier Stunden abschalten», sagt sie, und: »Wenn ich zu meinen Eltern fahre, dann gehe ich zu meiner Schwester in die Backstube und denke wirklich nicht mehr an Musik.«

Nach drei, vier Tagen in der väterlichen Konditorei »kommt es schon wieder, dass ich arbeiten will.« Singen, Rollen studieren, Liedtexte lernen: »Das wollte ich schon ganz früh. Mein Papa hat mir erzählt, dass ich als kleines Kind schon gesagt habe: Ich möchte Sängerin werden.«

Dabei begann die musikalische Karriere als Instrumentalistin: »Bei ,Jugend musiziert' bin ich als Flötistin angetreten, hatte aber keinen großen Erfolg. Als Sängerin hab ich dann sofort gewonnen. Ich hab mich nie dafür entschieden. Ich bin so reingerutscht. Es waren nie Zweifel.«

Oder wenn, dann Zweifel an den Begleitumständen des Opernbetriebs. Es kommt schon vor, dass ein junger Sänger in einer Inszenierung auftreten muss, die ihm gar nicht behagt. Wehren könne man sich gegen verrückte Regie-Einfälle kaum, philosophiert Christiane Karg weiter: »Ja, ein großer Name kann sagen: Da mach ich nicht mit. Ein junger Sänger kann das nicht.«

Gegen Regie-Eigenmächtigkeiten. Der erlebt unter Umständen höchst ungerechte Eigenmächtigkeiten von Regisseuren, die eine Karriere sogar behindern oder zurückwerfen können: »Ich hoffe, ich kann irgendwann einmal kämpfen gegen die Ungerechtigkeiten, die man da miterlebt, wenn zum Beispiel gute Kollegen aus Produktionen rausfliegen, weil der Regisseur eine andere Vorstellung hat, wie das dann so schön heißt.« Auch das Arbeitsklima ist von Bedeutung: »Gerade als junger Sänger fühlt man sich wohl, wenn jemand sagt: ,Wir schätzen deine Arbeit.' Dann geht man ohne Nervosität in die Premiere, hat nicht mehr das Gefühl, etwas beweisen zu müssen.«

Was hat die Mathis gesungen? Sicher fühlt sich die Künstlerin auch, wenn sie mit Bedacht ihr Repertoire erweitern darf. Die nächste große Rolle, die auf sie bei ihrer Landnahme im lyrischen Fach zukommt, ist die Zdenka in Richard Strauss' »Arabella«. Den Schritt, ein Engagement anzunehmen, wagt man, sobald man sicher ist, den Anforderungen einer neuen Partie gewachsen zu sein. »Wenn man sich nicht sicher ist, schaut man, wer die Rolle früher verkörpert hat. Wenn ich weiß, dass zum Beispiel Edith Mathis oder Lucia Popp etwas gesungen haben, als sie etwa in meinem Alter waren, dann weiß ich, dass es in die richtige Richtung geht. Lange Karrieren, das sind Vorbilder. Der größte Zeigefinger kann sein, Kollegen zu hören, bei denen es plötzlich nicht mehr so gut geht, vielleicht in kurzer Zeit.«

»Ich hatte Glück, bin auch von meiner Agentur gut beraten, und mir sind auch nie die falschen Sachen angeboten worden. Oder wenn, dann war es so absurd, dass es sowieso nicht in Frage gekommen ist; vor Jahren schon die Gilda zum Beispiel, oder die Donna Anna. Die wollte ich mit 26 wirklich nicht singen. Jetzt kann die Donna Anna langsam kommen. Gilda auch. Ich muss ja auch gefordert sein, sonst fühle ich mich nicht wohl.«

Respekt vor Beethoven. Das ist ein Satz, der die scheinbare Beschaulichkeit einer selbstverständlichen Karriere-Entwicklung relativiert. Natürlich heißt es für Christiane Karg auch: »Ausprobieren. Zum Beispiel das Sopransolo in Beethovens Neunter, demnächst unter Philippe Herreweghe in Paris - also mit einer kleinen Orchester-Besetzung. Ich habe sehr viel Respekt vor diesen großen Werken. Keine Angst, aber Respekt.«

Auch vor den großen Herausforderungen des Lied-Gesangs. Für ihren wortdeutlichen, sorgsam schattierten Vortrag ist Christiane Karg von Kritikern gerühmt worden. Und sieht doch ihre Grenzen: »Das Publikum«, sagt sie, »ist ja sehr gnädig und erlaubt Sängern, sich zu entwickeln. Wenn jemand gut durchdachte Programme bringt, wird das geschätzt. Und kein Mensch erwartet, dass eine junge Sopranistin ein Lied schon singt wie Elisabeth Schwarzkopf. Die Leute lassen sich packen, sie mögen die Frische. Sie sind auch an jungen No-Names interessiert und wollen wissen, wie es mit der Karriere weitergeht.«

Steil nach oben, daran besteht in Christiane Kargs Fall kein Zweifel.



↑DA CAPO