Barbara Hendricks

im Gespräch Juni 1992

Mathematik, Chemie, Politik, Musik - eine große Welt



Im Konzerthaus sang Barbara Hendricks jüngst französische, aber auch deutsche Lieder. Im Gespräch entpuppt sich die zarte Sängerin als bemerkenswerte Persönlichkeit, die bei aller Ruhe eine Impulsivität ausstrahlt, die man ihr auf dem Podium in solchem Maße kaum zutrauen würde.

Ihre Weltoffenheit überrascht.
Der geistige Horizont dieser Künstlerin scheint weiter als der vieler ihrer Kollegen. Barbara Hendricks kann denn auch auf ein ungewöhnliches Studium zurückblicken: "Mathematik und Chemie habe ich abgeschlossen", erzählt sie.

Gesungen hat sie nur nebenbei, "aber immer. Im Chor, in der Kirche mit meinem Vater. Und in einer Aufführung der ,Fledermaus' mit der Universitäts-Theatergruppe. Ich war ein ganz normales Kind mit vielen Interessen. Und begabt für Naturwissenschaften. Gesungen habe ich zwanzig Jahre meines Lebens nur zum Vergnügen, und das ist mir geblieben."

Kaum verwunderlich, daß sich ein Gespräch mit Barbara Hendricks automatisch zuerst um ganz außermusikalische Fragen dreht. Vor allem, wenn sie über humanitäre Fragen diskutiert, ist sie kaum zu bremsen. Sie lebe, meint sie, "nicht in einer Kunstwelt, nicht auf der Opernbühne oder im Konzertsaal, sondern in der realen Welt." Und die sei auf erschreckende Weise gezeichnet.

Die Zustände in Afrika

Einige Jahre lang war Barbara Hendricks ein "Ambassador of Good Will" der Vereinten Nationen und versuchte ihr humanitäres Engagement auf diese Weise zu vertreten.

Über die Zustände in Afrika - "In Somalia erleben wir den Beginn eines zweiten Äthiopien, nur viel schlimmer!" - ereifert sich die Künstlerin besonders. "Die Welt hat Afrika, die ganze Dritte Welt immer nur als Spielball, als strategisches Versuchsfeld verwendet. Man darf jetzt nicht zuschauen, wie sich dort die Katastrophen ereignen. Es ist leicht zu sagen: Afrika, da haben sie alle zehn Jahre etwas Furchtbares. Wir müssen etwas finden, die Wurzel allen Übels zu bekämpfen. Schließlich sind wir, wie wir hier sitzen, auch Gründe für die Tragödie."

Mit höchstem Engagement verfolgt Barbara Hendricks die politischen Entwicklungen, hat eigene Deutungen für alle bedeutsamen, wie auch für die scheinbar noch unbedeutenden Geschehnisse parat.
Auch das amerikanische Verhalten anläßlich der Umweltkonferenz kommentiert die gebürtige Amerikanerin ungerührt: "Die Welt ist kleiner als wir glauben. Irgendwann einmal wird ein amerikanischer Präsident das Gegenteil von dem machen müssen, was Bush jetzt tut, um gewählt zu werden. Weil er wissen wird, daß das Volk anders denkt." Also nicht mehr kurzsichtig ans momentane Wohlbefinden, sondern an die "Welt als Ganzes".

Ob ein Künstler dazu mehr beitragen kann, als Benefizkonzerte zu geben? "Das können natürlich die Popstars viel besser als wir. Man muß jedenfalls Meinung machen, bewußtseinsbildend aktiv sein. Ein Teil meines Lebens ist der Kampf gegen die Stupidität der Menschen. Im Großen wie im ganz Kleinen", kommentiert Hendricks. "Ich suche immer den Kontakt zu den Menschen, auch als Künstlerin. Das ist dasselbe, nur anders ausgedrückt."
Sie sieht sich viel lieber als Europäerin und lebt in der Schweiz mit ihrem schwedischen Manager-Gatten und zwei Kindern.

Lange Zeit war sie in Frankreich zu Hause - "das Publikum dort bezeichnet mich längst als französische Sängerin". Außerdem spricht sie nahezu fließend deutsch, was ihr den Zugang zum deutschsprachigen Liedschaffen erleichtert. "Ich singe ja viel lieber Lieder als Oper."
Nicht zuletzt, weil sich das mit ihrem Perfektionsbestreben besser vereinen läßt.

Schlechte Erinnerungen an Wien

An ihre Wiener Operngastspiele (die Sophie, die Gilda und die Susanna hat sie bereits im Haus am Ring gegeben) erinnert sie sich eher unwillig: "Ich hatte da viel zu wenig Proben. In Wien muß man eine Premiere singen, sonst ist es eine Improvisation. Ich bin ein Mensch, der sehr viele Proben braucht, um die Partner und die Produktion kennen zu lernen. Man muß doch irgendwie aufgehen in einer Sache. Dann kann man auch mit viel weniger gestischem Aufwand einen glaubhaften Charakter zeichnen. Wenn man keine Probenzeit hat, arbeitet man viel plakativer."
Also in Hinkunft kaum Oper in Wien?

"Nächstes Jahr gibt es einmal ein Konzert, das Poulenc-Gloria, mit Georges Pretre. Oper in Lyon, in Orange, da singe ich die Micaela in ,Carmen', und dann Strawinskys ,Rake's Progress' in Los Angeles. Inszeniert von Peter Sellars, dirigiert von Esa Pekka Salonen." Von Salonen, der heuer auch bei den Salzburger Festspielen debütiert, ist Hendricks begeistert: "Er wird einmal ein ganz Großer sein." Und Sellars? "Er ist bestimmt nicht für alle Opern der ideale Regisseur. Für den Strawinsky bestimmt. Er ist jedenfalls ein sehr ernsthafter Arbeiter, nimmt nichts auf die leichte Schulter. Er ist halt ein bißchen anders", meint sie.

Auch mit Neuenfels sei das so, mit dem sie den "Rigoletto" gemacht hat: "Sechs Wochen Arbeit wie im Theater. Das war fabelhaft. Auch wenn seine Konzeption recht seltsam war. Wenn ich nur so von der Straße hineingekommen wäre und unvorbereitet zugeschaut hätte, da hätte ich die Inszenierung wahrscheinlich nicht gemocht. Aber der Arbeitsprozeß, sehr ernsthaft, sehr intensiv, der war mir eine große Freude." Schließlich: "Ich will ja immer etwas mitteilen, wenn ich singe. Ich will, daß die Leute etwas mit nach Hause nehmen von einem Abend." Nicht nur politische Botschaften, gewiß.

↑DA CAPO