Anita Hartig

Die Sopranistin, im Ensemble der Wiener Staatsoper groß geworden, im Gespräch am Beginn ihrer Karriere



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Jänner 2012

Staatsoper-Senkrechtstarterin

Ensemblemitglied Anita Hartig hat jüngst mit Mozart und Puccini Furore gemacht und erzählt vor ihrem ersten Liederabend im Musikverein über den Ernst des Sängerlebens.

Seit drei Jahren ist Anita Hartig Mitglied des Ensembles der Wiener Staatsoper. Als blutjunge Sopranistin aus Rumänien ist sie von Ioan Holender engagiert worden. Dessen Nachfolger, Dominique Meyer, hält große Stücke auf sie - und das Publikum jubelte am Anfang der laufenden Spielzeit, als sie über Nacht als Mimi in Puccinis "Boheme" einsprang. Als Musetta war sie vorgesehen, in der Primadonnenrolle feierte sie einen Triumph.

Jüngst war sie in Mozarts "Figaro" eine hinreißende Susanna - man ist auf sie aufmerksam geworden: Am Tag des "Presse"-Gesprächs wartet auch ein Fernsehteam. Was das für ein Gefühl ist, mit einem Mal im Rampenlicht zu stehen? "Es verpflichtet zu mehr Verantwortlichkeit", sagt Anita Hartig - und ihr Visavis hat nicht das Gefühl, die Sängerin kokettiere mit solchen Sätzen. Leicht nimmt sie ihren Beruf gewiss nicht. "Man will", sagt sie, "den Erwartungen entsprechen. Den eigenen, denen des Publikums, denen der Direktion, denen des Agenten. Ich bin sehr verantwortungsbewusst, und ich weiß, dass ich jetzt noch mehr arbeiten soll und muss als bisher."

Wie bei einem Bild von Monet. Diese Arbeit, die versteht sie als ständigen Verbesserungsprozess. "Ein bisschen ist das Interpretieren von Musik wie die Betrachtung eines Monet-Bildes. Das ist von Weitem so schön, wenn man näher kommt, sieht man, wie es gemacht ist, die einzelnen Pinselstriche und dann die Haare des Pinsels. Dann ahnt man auch, wie viel Arbeit in der Kunst steckt."

"Im Musiktheater", erläutert die Künstlerin ihren Vergleich, "ist das nicht anders. Da lernt man am meisten auf der Bühne. Es ist ein Riesenunterschied, eine Rolle in einem kleinen Zimmerchen zu lernen, bei Klavierbegleitung, und dann auf die Riesenbühne zu gehen. Wirklich erarbeiten kann man sich eine Figur erst im Zusammenspiel mit den Kollegen, mit dem Souffleur, mit den Musikern."

Wobei ein neues Mitglied im großen Ensemble der Wiener Staatsoper sich daran gewöhnen muss, zu Beginn auch Partien zugewiesen zu bekommen, die ihm vielleicht nicht auf den Leib geschneidert scheinen: "Man versucht, das Beste daraus zu machen. Auch das dient dem Wachstum. Wenn man aber dann richtige Rollen bekommt, entdeckt man sich auch ein bisschen selbst." Und zwar durchaus mit Überraschungseffekten. "Vor der ,Figaro'-Susanna" hatte ich Bedenken. Ich sehe mich ein wenig ernster, distanzierter vielleicht. Dass ich dieses Mädchenhafte dieser Figur auch in mir habe, das wusste ich gar nicht. So etwas ist natürlich schön zu entdecken", freut sie sich, die sich etwa in "Cosi fan tutte" viel weniger als quirlige Despina sieht - die sie heuer wieder in der Staatsoper darstellen wird - denn doch irgendwann als Fiordiligi, später auch als "Figaro"-Gräfin und irgendwann als Verdis "Traviata".

"Das ist", sie sucht nach einem Vergleich, "wie bei Kleidern. Manche passen halbwegs, sind vielleicht ein bisschen eng, eine Spur zu kurz oder zu weit, manche passen wie angegossen."

"La Boheme" als Schicksalsoper. Wirklich angegossen sitzt, meint sie, "die Mimi. Es war die erste Rolle, die ich, in Klausenburg, auf der Bühne gesungen habe. Ich glaube, sie wird mir, je mehr Erfahrung ich sammle, sogar noch besser stehen als jetzt."

Reprisen der "Boheme" sind jedenfalls in Wien geplant. Was sonst auf sie zukommt, weiß Anita Hartig nicht. "Die großen Rollen sind ja auf Jahre hin verplant, aber ich habe kein Problem zu warten. Alles kommt zur richtigen Zeit!"

Wenn es sein muss, wie die Mimi, einspringenderweise: "Als Ensemblemitglied ist man häufig Cover und studiert dafür unterschiedlichste Partien mit dem Pianisten in einem kleinen Raum - und betet, dass man nie auf die Bühne damit muss, weil man die Inszenierung nicht kennt."

Im Fall des Falles gibt es dann "im letzten Moment irgendwo in einem Raum eine Probe mit einem Regieassistenten. Da wird einem gesagt, in diesem Moment bist du da, in diesem da. Aber man hat von den wirklichen Dimensionen der Bühne keine Ahnung. Im Ernstfall schaut man sich um und denkt: Okay, da bleib ich doch lieber stehen, wo ich bin, und singe."

Der Weg vom Probenraum auf die Szene wirkt unter Umständen weiter als jener, den Anita Hartig schon hinter sich hat - aus einem kleinen rumänischen Ort an die Wiener Oper. "Gesungen", sagt die Künstlerin, "habe ich immer. Aber das hatte nicht viel mit Oper zu tun. Die habe ich erst spät entdeckt, nachdem eine Freundin gesagt hat: ,Du hast eine tolle Stimme, du musst Oper singen.' Da war ich siebzehn und dachte: Oper? Die brüllen doch nur."

Siebenbürgerdeutsch für Schubert. Erst eine Callas-CD hat Anita Hartig süchtig gemacht. Der Besuch einer Aufführung des "Barbier von Sevilla" reichte dann, sie zu überzeugen. "Die Bilder, die Farben, die Bewegung, die da zur Musik dazukamen, das alles war schon faszinierend", erzählt sie in perfektem Deutsch. "Meine Muttersprache ist zwar Rumänisch, aber mein Vater hat mit seiner Familie Sächsisch gesprochen."

Siebenbürgerdeutsche Wurzeln also - für den Liedgesang wohl förderlich. "Damit", sagt Anita Hartig, "habe ich ja so gut wie keine Erfahrung. Ein Podium, kein Souffleur, nur ich und der Pianist: Alles ist viel exponierter als in der Oper. Man muss nur mit der Musik und dem Text die Dekors, das Licht, die Farben erzeugen. Ziemlich schwierig. Aber ich bin ja sehr neugierig . . ."


↑DA CAPO