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Misha Didyk

(September 2017)

Dostojewskis singendes Ebenbild
Im Gespräch. Misha Didyk, der ukrainische Tenor, galt nach belcantesken Anfängen bald als idealer Held fürs schwere slawische Fach. An der Staatsoper singt er Prokofieffs "Spieler".

Zufälle - ein Prüfungsabend am Konservatorium von Kiew: Eine Professorin hört den jungen Tenor und holt ihn vom Fleck weg in ihre Gesangsklasse: "Das war Jewhenija Miroschnytschenko", erinnert sich Misha Didyk, "ich durfte dann in einem Benefizkonzert an ihrer Seite den Alfredo in Verdis ,Traviata' singen." Daraufhin bat das Opernhaus von Kiew zum Vorsingen. Inzwischen arbeitete Didyk mit der Leiterin der Liedklasse am Konservatorium an einer Szene aus "Pique Dame".

Diese sang Didyk in einem TV-Konzert vor 400 Zuhörern. Das genügte dem Regisseur, der die Tschaikowsky-Oper gerade in Kiew neu einstudierte: "Er war ein ehemaliger Bariton und meinte: ,Du bist mein Hermann'", erzählt Didyk. "Das fanden damals alle verrückt. Sie dachten: Wenn der Junge eine so schwere Partie wie den Hermann singt, dann ist es gleich aus mit seiner Karriere. Aber ich spürte diese Rolle schon in mir."

Philadelphia als zweite Heimat

Außerdem warteten ohnehin gleich darauf ganz andere tenorale Herausforderungen auf ihn: in Chisinau, in Helsinki. Der Mann für die heldischen russischen Partien vom Hermann bis zum Sergei in Schostakowitschs "Lady Macbeth" begann international con italianita: Viel Puccini stand auf seinem Programm, aber auch Belcanto. Die erste internationale Bühnenrolle war der Riccardo in Donizettis "Anna Bolena". Auch der Tebaldo in Bellinis "Capuleti e i Montecchi" stand auf seiner Agenda.

Das Debüt in der Donizetti-Premiere wird der Tenor nie vergessen: "Der Dirigent war ein Italiener, Maurizio Barbacini. Als dieser hörte, dass der Tenor aus der Ukraine stamme, fiel er aus allen Wolken: Ein Ukrainer und Belcanto? Dann kam ich zur ersten Probe. Nach 15 Minuten rief er in Philadelphia an, wo er Erster Dirigent war: Ich habe einen Tenor entdeckt!"

Der Direktor von Philadelphia reiste zur "Bolena"-Premiere und bot einen Vertrag für das US-Debüt: "Ich sang in einem Greatest-Hits-Konzert neben Jerry Hadley und Samuel Ramey und war dort der meistbeschäftigte Sänger des Abends, Szenen aus ,Faust', aus ,Puritani' aus ,La Boheme'. Es war wie mein Konzert", schwärmt Didyk, der sich viel von seiner jugendlichen Begeisterung von damals bewahrt hat: "Man stelle sich vor, was das für mich bedeutet hat: ,Che gelida manina' in Philadelphia - nach Pavarotti! Der Applaus war wie eine Explosion!"

Philadelphia wurde zu Didyks zweiter Heimat. "Dort sang ich zum Beispiel in ,Capuletti' - an der Seite von Anna Netrebko. Das war meine zweite Begegnung mit ihr. Die erste fand in Chisinau statt: Da war ich der ,Rigoletto'-Herzog, als sie ihre erste Gilda sang."

Philadelphia hätschelte seinen Tenorstar. "Man hat sich reizend um mich gekümmert, mich eine Zeit lang jeden Tag nach New York zur Meisterklasse geführt! Das war übrigens spannend, denn die Herangehensweise ans Singen ist in Amerika doch völlig anders als in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion . . ." Dann ging es Schlag auf Schlag. 2006 rief San Francisco, 2007/08 waren es Berlin und Mailand, 2009 debütierte Didyk als Sergei in "Lady Macbeth" an der Wiener Staatsoper, an der er seither unter anderem auch Tschaikowsky und Janacek sang. Und nun den "Spieler" in der Dostojewski-Vertonung von Sergej Prokofieff, die am 4. Oktober Premiere hat.

"Das Stück ist atemberaubend", sagt Didyk, "sehr deklamatorisch komponiert und hoch expressiv. Man spürt Dostojewski in jedem Ton. Aber auch Prokofieff. Die Sache hatte für den Komponisten ebenso autobiografische Züge wie für den Dichter, denke ich. Prokofieff hat seine unglückliche Jugendliebe da eingearbeitet."

Um Liebe geht es im "Spieler" auch, "ich bin sicher, dass Alexei Polina liebt. Aber im Verlauf der Handlung hat die Spielsucht alle denaturiert, entmenscht. Die Regisseurin hat dafür starke Bilder gefunden, glaube ich. Ich möchte aber nicht zu viel verraten. Jedenfalls: Hingehen, anschauen und anhören. Es ist ein hoch emotionelles Erlebnis!"



↑DA CAPO