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Montserrat Caballé

1933 - 2018

Gewiß, es sind große Interpretinnen im Sopranfach nachgerückt, es gibt sie, die Diven, die Primadonnen des angehenden XXI. Jahrhunderts. Und doch hat man im Oktober 2018 allenthalben gelesen, daß »die letzte Primadonna«, Montserrat Caballé, 85-jährig in ihrer Heimatstadt Barcelona nach langer Krankheit gestorben sei.

Denn das ist wahr: Die Caballé war die letzte jener Bühnengestalten, die ihre Position als Weltstar noch in ihre Gestaltung der jeweils gerade zu verkörpernden Rollen hereinnehmen konnten. Sie verkörperten die Violetta, die Tosca, die Lucrezia Borgia ganz und gar, blieben dabei aber immer auch noch ganz und gar sie selber!

Die Caballé konnte in Ausnahmefällen sogar für Augenblicke ihre Rolle ausblenden und für Momente voll und ganz Montserrat Caballé sein, in dem sie etwa inmitten einer Aufführung von Bellinis "Norma" ihren Gesang unterbrach, um die Bühnenarbeiter, die gerade nicht ganz so mucksmäuschenstill waren wie das Publikum, zurechtzuweisen.

Grenzfälle

Es sind solche Grenzfälle, in denen die armen Intendanten sich dann nicht ganz klar darüber sind, ob und wie sie diese Künstlerin, die sie unter Vertrag genommen haben, disziplinieren sollen und können. Stars dieses Kalibers dürfen sich notorisch viel bis alles erlauben, solange das Publikum am Ende begeistert ist. Oftmals ist das Ereignis, dass ein Sänger überhaupt in Erscheinung tritt; egal, was er tut.

Insofern war die Caballé eine »letzte Große«. Ihr Ruhm ruhte auf zwei Säulen, deren eine allerdings in Würdigungen gern vergessen wird. Die allgemein anerkannte Grundlage des Weltruhms der katalanischen Sopranistin war ihr sicheres Stilgefühl und ihr Vermögen, musikalische Phrasen makellos in allen dynamischen Stärkegraden und in allen Registern ihrer Stimme zu formen.

Die andere: Diese Stimme war von einer Robustheit und Belastungsfähigkeit, die lange Zeit jeglichen Raubbau zu ermöglichen schien und erst vergleichsweise spät die unausbleiblichen Verschleißerscheinungen hörbar werden ließ.
Die Robustheit ermöglichte der Sängerin in den späten 1950er-Jahren einen Karrierestart auf Provinzbühnen, wo man im damals noch allseits gepflegten Repertoiretheater Ensemblemitgliedern unmenschliche Leistungen abverlangte.
Ein junges Mitglied des Hauses mit den nötigen stimmlichen Reserven hatte sich durch den ganzen Spielplan zu singen, im leichten wie im schweren Fach seinen Obolus zu leisten.

Das überlebten zarter besaitete Sänger nicht. Die enorme Dichte des Repertoires führte freilich aus späterer Perspektive zu echten Kuriosa. So staunten Melomanen der 1970er-Jahre auf der Suche nach illegalen Livemitschnitten zur Befriedigung ihrer Stimmsucht nicht schlecht, wenn sie in den Regalen einschlägiger Plattenläden Aufnahmen von Werken fanden, deren Titel sie nie und nimmer mit dem Namen des Belcantostars assoziiert hätten. Besonders sorgte etwa eine Aufnahme von Antonin Dvoraks Spätwerk Armida für Aufsehen, der in Bremen entstand, 1961, in jener Zeit, die man in freier Assoziation zu Giuseppe Verdis Lebenslauf die »Galeerenjahre« der Sängerin nennen darf.

Start als Mimi

Im Anschluß an ihre Vokalstudien im heimatlichen Barcelona und in der Opern-Hochburg Mailand war die junge Sopranistin aus Katalonien nämlich zuerst in Basel engagiert, wo sie 1956 als Mimi in Puccinis La Boheme ihr Debüt absolvierte. Danach ging es nach Saarbrücken und nach Bremen. Und nur der Weitsicht des dortigen Generalmusikdirektors, Gerd Albrecht, ist es dem Vernehmen nach zu verdanken, dass man der Künstlerin nebst kleinen, mittleren und großen Rollen buchstäblich aller Couleurs nicht auch noch die Elektra abverlangte . . .

Die erstaunlichsten und für den Test der Elastizität ihrer Stimmbänder teils brutalsten Aufgaben hatte die Caballe jedenfalls bereits absolviert, als sie 1965 die Chance bekam, über Nacht für die erkrankte Marilyn Horne in einer konzertanten Aufführung von Donizettis Lucrezia Borgia einzuspringen. Die anfängliche Enttäuschung des Publikums in der New Yorker Carnegie Hall schlug nach den ersten Phrasen der Caballé in helle, zuletzt hysterische Begeisterung um. Ein Star war geboren.

Ätherische Pianissimi

Da waren die oft ätherisch zart, aber bis in höchste Höhen volltönend strömenden Höhen, die ausdauernd gebundenen und modellierten Phrasen. Maria Callas, die den Startschuss zu jener damals gerade einem Höhepunkt zusteuernden Wiederbesinnung auf den klassischen Belcanto gegeben hatte, erkannte bald die eminente Qualität der jüngeren Kollegin und sollte später erklären, die Caballé sei die Einzige, die sie als »Nachfolgerin« akzeptieren könne.

Wie die Callas beließ es die Caballe nicht beim subtilen Ziergesang. Sie machte Gebrauch von der Repertoirevielfalt, zu der man sie in jungen Jahren gezwungen hatte. Ihre Schallplatten-Aufnahme der Traviata gilt Kennern ja vor allem deshalb als herausragend, weil da nicht nur eine Stilistin zu hören ist, die das erste Finale makellos ziselieren kann, sondern auch im Mittelakt genügend Potenzial hören lässt, die dramatischeren Facetten dieser Partie auszuloten. Meist fehlt entweder das eine oder das andere - die Caballé bot die ganze Violetta; so wurde sie nicht nur zum Bühnen-, sondern auch zum Schallplattenstar.

4000 Auftritte

Die kraftvollen Reserven ihrer Stimme nutzte Montserrat Caballe immer wieder auch zu Ausflügen ins Veristische, gab kurz nach einer Studioproduktion, in der sie an der Seite von Joan Sutherland und Luciano Pavarotti mit schwebenden Piani eine zerbrechlich zarte Liu gesungen hatte, ihr Debüt in der Titelpartie von Turandot. Sogar die Salome von Richard Strauss und Wagners Isolde gehörten zu ihren Partien.

4000 Auftritte hat sie in den Jahrzehnten ihrer Laufbahn absolviert, von den bedeutenden Opernhäusern und Konzersälen der Welt fehlt bestimmt kein einziges in der Liste, wobei sie sich nirgendwo allzu häufig hören ließ, sobald sie aus den Fängen der Fixengagements in die Freiheit entlassen war.

An der Wiener Staatsoper absolvierte sie ihr Debüt schon während der Bindung an Bremen: Im Februar 1959 gastierte die noch völlig unbekannte junge Dame als Donna Elvira in Mozarts Don Giovanni, Eberhard Waechter war der Titelheld. Ein paar Wochen später kam sie noch einmal ins Haus am Ring, um Salome an der Seite Hans Hotters zu singen.

Das waren die einzigen Mozart- bzw. Strauss-Abende der Caballe in Wien und sie zeitigten keine wie immer gearteten Folgen. Erst in den 1970er-Jahren, da war ihr Name bereits weltweit ein Begriff, kehrte sie im italienischen Fach zurück, aber immer lediglich zu einzelnen Vorstellungen, sechsmal war sie die Tosca, dreimal die Elisabeth in Don Carlos, je zweimal die Leonore im Troubadour und in der Macht des Schicksals - und selbst als Direktor Egon Seefehlner ihr zuliebe die Premiere der Norma aufs Programm setzte, die Riccardo Muti einstudierte, gab es nur zwei Reprisen.

Jugendförderung

Heimisch geworden ist Montserrat Caballe in ihrer Hochzeit jedenfalls in Wien nicht. Dafür feierte der prominenteste ihrer Schützlinge eine lange Reihe von Triumphen: Jose Carreras hat oft betont, wie viel er der Fürsorge und dem künstlerischen Antrieb der Caballé verdankte.

Mit ihm produzierte die Diva auch eine Reihe von Schallplatten - nicht zuletzt von Raritäten des Repertoires - was den Namen des Tenors sogleich international bekannt machte.

Für die Caballé kamen zu den Opern-Aktivitäten freilich auch noch unzählige Ausflüge in die Unterhaltungsbranche, vor der die stets umtriebige Künstlerin keine wie immer geartete Scheu zeigte. Schon im CD-Zeitalter angelangt, brachte man etwa eine Studiobegegnung zwischen der Primadonna und der Rocklegende Freddie Mercury in den Handel.

Ob diese Initiative der Oper mehr Besucher beschert hat, ist nicht bekannt, aber der Name Caballé hatte danach eine noch höhere Strahlkraft, so viel ist sicher. Auf der Liste ihrer Auszeichnungen steht der begehrte Medienpreis Bambi ebenso wie der Echo-Klassik-Preis für ihr Lebenswerk.

Und trotz aller Ausflüge blieb die Caballé auf ihre Art bis zuletzt dem Belcantofach treu, weil sie darin auch ihr komödiantisches Talent ausspielen konnte: In der legendären Wiener Produktion von Rossinis Viaggio a Reims unter Abbado war sie die Zentralsonne der kostspieligen Starbesetzung - und hatte nicht nur die Bewunderung für ihre stimmliche Agilität, sondern auch die Lacher auf ihrer Seite.

Der umwerfende Humor der Diva erwies sich zuletzt, als sie in der Premiere von Donizettis Regimentstochter als karikative Herzogin von Crakentorp erschien - immer noch ganz Diva. Und ganz Montserrat Caballé.

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