Johan Botha

Portrait, Dezember 2005

Das Ende aller Notlösungen fürs Helden-Fach

Mit dem südafrikanischen Tenor Johan Botha erschien mehr als nur ein strahlender Gralsritter im internationalen Opern-Business.

Es war Staunen erregend. Nach drei Stunden Aufführungsdauer stützte die mächtige Erscheinung des Schwanenritters die Hände aufs Schwert und begann die berüchtigte Gralserzählung zu singen, als gälte es, ein zartes Schubertlied zum Klingen zu bringen. Es war Johan Bothas Debüt als Lohengrin in der Wiener Staatsoper und die Musikfreunde der Stadt waren sich hernach einig: Einen solchen strahlenden Helden hatte man seit Menschengedenken nicht mehr erlebt. So sicher, so mühelos, in allen Lagen belkantesk klangen Wagnersche Heldenpartien nur auf historischen Aufnahmen.

Dieser Sänger aber agierte, als wollte er dem Chor Recht geben, der anlässlich seines Auftritts aufgeregt verkündete, er sei "von Gott gesandt". Ein Geschenk bedeutete das Erscheinen Johan Bothas auf der Opernbildfläche jedenfalls, denn nicht nur den Lohengrin, auch manch andere seiner Partien konnten Intendanten in der jüngeren Vergangenheit mehrheitlich nur mit Notlösungen, kaum mit wirklich adäquaten Sängern besetzen, die imstand gewesen wären, nicht nur die vorgeschriebenen Noten halbwegs zu bewältigen, sondern ihren Gesang auch noch gestaltend zu modellieren, also die Darbietung zur veritablen Interpretation zu machen.

Den Höhepunkt von Bothas Wiener Auftritten markierte für viele die Premiere von Strauss' "Daphne". Da sang der Tenor den Apollo, der sich in der Aufführungsgeschichte von allen undankbaren bis unsingbaren Strauss'schen Tenor-Gemeinheiten als unsingbarste entpuppt hat. Die Höhenflüge, die der Komponist von seinem griechischen Gott verlangt hat, stellten sich in den folgenden Jahrzehnten als größte Hürde dar, die Aufführungen des so herrlich klangschönen, leuchtend instrumentierten Werks erschwerte, wenn nicht verhinderte.

Wagner, konkret statt abstrakt

Plötzlich tönte es, als wäre der Erdenbesuch des strahlenden Sonnenlenkers ein angenehmer Erholungs-Spaziergang. Für die Hörer bedeutet das im Moment der Aufführung das höchste Glücksgefühl, die Musik in all ihren ekstatischen Aufwallungen erleben zu können, ohne fortwährend abstrahieren zu müssen, wie diese Klänge wirklich gemeint waren, wie das sein könnte, wenn, was vorgeschrieben ist, tatsächlich realisierbar wäre. Es ist realisierbar.

Vergleichbares weiß man jetzt - nach langer Durststrecke - etwa auch von den vielen Wiederholungen des Preisliedes, das Walther von Stolzing in den beiden Bildern des dritten Aufzugs der "Meistersinger von Nürnberg" anzustimmen hat. Wie schön, wenn ein Sänger da nicht spätestens auf der Festwiese nur noch nach Luft ringt, statt einen leuchtenden Tenor zu verströmen.

Dabei hatte die internationale Karriere des Johan Botha mit Auftritten in einem ganz anderen Fach begonnen. In der Wiener Volksoper ließ der zuvor völlig unbekannte junge Künstler 1994 aufhorchen, als er sich als Rudolf in Puccinis "Boheme" rare Ausflüge in ein tragfähiges Piano leistete. Das war die Zeit, in der er in Berlin als Bajazzo debütierte, in Genf den Idomeneo und in Paris als Pinkerton in "Madame Butterfly". Wagner hatte er damals auch schon gesungen, sogar bei den Bayreuther Festspielen - im Chor.

Um die Jahrtausendwende folgten Bothas Rollendebüts als Radames ("Aida") und Kaiser ("Frau ohne Schatten"), die Aufgaben des heldischen Fachs ließen nicht mehr auf sich warten. Der Tenor nahm die Herausforderungen Schritt für Schritt, ohne je ganz auf die Ausflüge in die belkanteskeren Regionen der Italianita aufzugeben. Das hält die Stimme offenbar flexibel. Wann immer Botha in jüngster Zeit in Wien zu hören war, war ihm der Jubel des Publikums sicher, ob Parsifal oder Andre Chenier, Apollo oder Prinz Kalaf ("Turandot").

Für die "Lohengrin"-Premiere rüstete sich der Tenor zu einem besonderen Coup, den er in Berlin unter Daniel Barenboims Leitung schon einmal ausprobiert hatte: Erstmals seit Jahrzehnten erklingt Wagners Werk in Wien völlig ungekürzt - vor allem ergänzt um jene von Wagners selbst aus Praktikabiltätsgründen schon gestrichene zweite Hälfte der Gralserzählung. Eine Entdeckung, bis dato für Wagnerianer lediglich auf CD zu hören.


Gespräch, 2006

»Ich habe ja das C und präsentiere es gern«

Johan Botha im Gespräch über die Frage, warum er sich in Wien demnächst rarer machen wird.

Johan Botha, gefeierter Heldentenor in aller Welt, stammt aus Südafrika, hat aber Wien zu seinem Lebensmittelpunkt gemacht.

Nicht zuletzt deshalb hat er hier an der Volksoper wie an der Staatsoper die Vielfalt seines stimmlichen Könnens seit Jahren konsequent unter Beweis gestellt. Er sang den Rudolf in Puccinis "Boheme" ebenso wie den Walther von Stolzing in Wagners "Meistersingern", den Florestan in Beethovens "Fidelio" wie Verdis Don Carlos. Zuletzt war er in beeindruckender Abfolge Lohengrin und Radames ("Aida"), diese Woche ist er der Titelheld im vorösterlichen "Parsifal".

Solche Botha-Festspiele, vom Publikum jedesmal mit Ovationen bedacht, wird es in den kommenden Spielzeiten nicht geben. Im Gespräch erläutert der Tenor auch, warum das so sein muss: "Es ist ganz einfach, ich bereite den Otello vor. Der ist schwer. Der ist gefährlich. Ich habe großen Respekt vor dieser Aufgabe. Und eine kleine Portion Angst." Denn, so Botha, "bei einer ,Otello'-Premiere muss alles stimmen". Und es stimmt nach seiner Meinung in Aufführungen dieser Verdi-Oper zumeist recht wenig.

"Otello" nicht als "Schreiduell"

"Wir müssen doch", sagt er, "endlich das realisieren, was der Komponist geschrieben hat. Alle müssen das tun, die Sänger und das Orchester. Es ist ein Spätwerk. Verdi wusste genau, was er schreibt. Und er hat uns enorme Aufgaben gestellt. Ich lege Wert darauf, dass das realisiert wird, was in der Partitur steht." Das bedeute, so Botha, in vielen Fällen so ziemlich das Gegenteil von dem, was in der Aufführungspraxis geschehe. "Wo dreifaches Piano geschrieben steht, muss es auch erklingen. Ich habe viele ,Otello'-Vorstellungen erlebt, die in ein Schreikonzert zwischen Bariton und Tenor ausgeartet sind. Ich behaupte: Das Stück kann man auch singen. Man muss es singen!"

Was er selbst darunter versteht, hat Botha soeben in der Aufführungsserie der "Aida" demonstriert, in der sich viel vom späteren "Otello"-Stil schon vorgeformt findet. Wer Botha den Radames singen hört, weiß, was der Sänger meint, wenn er die Differenz zwischen Gesang und Geschrei beschwört. Und den Mangel an Feingefühl, der heutzutage in diesen Dingen herrscht. Differenzierungskunst, die bruchlos zwischen gehauchtem Pianoton und enormer Attacke zu vermitteln weiß, ist heutzutage ja tatsächlich beinahe ausgestorben. Botha freilich realisiert den legendären Schlusston in der Auftrittsarie, "Celeste Aida", tatsächlich wie von Verdi vorgeschrieben im Pianissimo und lässt ihn, "morendo", verklingen. Er präsentiert dasselbe hohe B dann am Ende des Nilakts als affirmativen, jetzt wirklich forte realisierten Beweis von Charakter und Kampfesstärke des Helden, während die heiklen Passagen in den Duetten mit der Titelheldin in makellos phrasierten Pianolinien gelingen. Die Ensembleszene im Triumphakt krönt Botha übrigens mit einem mühelos strahlenden hohen C. Der einzige Verstoß gegen den Notentext, den er sich leistet, freilich im Einklang mit der dynamischen Entwicklung der Komposition.

Der C-Tenor begann als Bassbariton!

"Ich habe ja das C und präsentiere es natürlich mit Freude", sagt er, und es klingt beinahe bescheiden aus seinem Mund. "Meine Stimme geht problemlos bis zum Cis und zum D. Dabei habe ich als Bassbariton angefangen. Das klingt nun wirklich unglaublich, ist für Botha aber die Frucht der natürlichen Anlage seiner Stimme und deren guter Entwicklung: "Als Knabensopran habe ich gern die Königin der Nacht geträllert. Das hohe F war kein Problem. Seit ich nach dem Stimmbruch als Bassbariton angefangen habe, singe ich mich im Falsett bis zum hohen F ein! Kommt dieser Ton nicht sicher, weiß ich, etwas ist nicht in Ordnung."

Kollegen haben ihn in den Anfängen seiner Profi-Karriere darauf aufmerksam gemacht, dass seine Stimme doch eher tenoral klinge. "Mein Gesangslehrer, der sehr gut war, das aber nicht glauben wollte, hat mich dann einmal Vokalisen bis zum B machen lassen und gesagt: Mein Gott, es stimmt wirklich: Du bist ein Tenor!"

Endlich nicht mehr "zu jung" für Wagner

Danach kam die Zeit des Übergangs: "Ich habe zwölf, 14 Jahre Zwischenfach gesungen, immer wieder Partien, wo mir alle gesagt haben: Du bist zu jung dafür. Meinen Vierziger habe ich dann mit Vergnügen gefeiert: Jetzt sagt endlich keiner mehr, ich sei zu jung für Wagner."

Zu jung war er den Intendanten nie. Auf Verdis "Maskenball" in Kaiserslautern und Puccinis "Madame Butterfly" in Paris, wo er als Einspringer in der Premiere vor einer illustren Intendanten-Schar triumphierte, folgten Engagements buchstäblich in alle wichtigen Häuser der Welt. Das ging selbst dem Künstler beinahe zu schnell: "Als ich 96 die Treppe zur Met hinaufging, dachte ich: Das ist alles zu früh. In Südafrika daheim hatte ich mir so einen Lebensplan zurechtgelegt und gedacht: Wenn du mit 45 an der Met singst, dann hast du's geschafft."

Wobei Botha in Zukunft keinesfalls nur die schweren Heldenpartien singen möchte. "Ich möchte die Stimme ja auch hoch halten, weil ich glaube, dass man eben auch Partien wie den Otello belkantesk singen soll. Wagner geht ja leider so gut wie nie über das B hinaus", eine Einschränkung, die man in dieser Formulierung wohl von keinem anderen Sänger je zu hören bekommen wird.

So gibt es neben den Vorbereitungen zur Wiener "Otello"-Premiere demnächst wieder Ponchiellis "Gioconda", in Wien - an der Volksoper - noch laufende Saison die "Meistersinger". Dass er demnächst nicht so häufig in Wien zu hören sein wird wie zuletzt - "In den vergangenen zwei Jahren habe ich hier 15 Partien gesungen!" -, hat vor allem mit Vorbereitungen zu tun: Dem "Otello" folgen noch in der Ära Holender "Siegmund" und "Tannhäuser", beides unter der Leitung von Franz Welser-Möst.

Auch wenn Botha meint, die eigentliche Arbeit bestehe aus den Vorbereitungen, liegt der Zauber des Berufs dann doch im Auftritt am Abend. "Wenn ich dann loslege, fühle ich mich zu Hause. Ich habe ja Direktor Holender gesagt: Ich hätte gern ein Zelt auf dem Dach der Oper. Zum Wohnen!"

↑DA CAPO