Ian Bostridge

Mai 1999



»Ian Bostridge Portrait

(Warner)


Der Tenor (Jahrgang 1964) im Gespräch über Ästhetik und Wege zum Liedgesang

Ian Bostridge, eine der faszinierendsten Sängerpersönlichkeiten unserer Zeit, denkt über die Zukunft seiner Kunst nach. Er hat nicht wie viele seiner Kollegen über die Opernbühne Karriere gemacht, sondern sich seinen Namen als einer der führenden Tenöre unserer Zeit vor allem im Konzertsaal erworben.

"Oper fasziniert mich schon", sagt der immer sympathisch jugendlich engagiert wirkende Sänger im Gespräch, "aber nicht in jeder Form".
Will sagen: Bostridge überlegt sich genau, in welchem ästhetischen Umfeld er auf einer Bühne in Erscheinung treten möchte. Sein Debüt feierte er 1994 als Lysander in Brittens Sommernachtstraum beim Edinburgh Festivals.

Als Liedsänger hat er vor allem deshalb Furore gemacht, weil er sehr auf dramatische Akzente Wert legt.

Video-Wagnisse

Das ist so weit gegangen, daß er sich von einem befreundeten Regisseur dazu überreden ließ, eine Videoversion der Winterreise zu gestalten, die zu ungewöhnlich avantgardistischen optischen Mitteln greift. Wer so etwas wagt, mag sich mit herkömmlichen Operninszenierungen nicht abgeben. Daran läßt Bostridge keinen Zweifel.

Im übrigen setzt er auf strikte Drittelung seines Terminplans. Ein Teil Oper, ein Teil Liedgesang, ein dritter Konzerte und Oratorien.

"Es gibt", sagt er, darauf angesprochen, "ganz sicher so etwas wie eine ,englische Schule' im Gesang. Aber das ist vor allem im Liedbereich nicht unbedingt das, was mich interessiert. Für mich sind deutsche Interpreten wie Dietrich Fischer-Dieskau viel wichtiger gewesen".
Auch wenn der "Liederpapst" doch eher jene klassisch-distanzierte Präsentationsform gepflegt hat, die Bostridge überwinden möchte.

Nur: Die "typisch englischen Sänger" pflegten seiner Ansicht nach die Distanzierung auch in musikalischer Hinsicht ein wenig zu übertreiben. "In unseren Zeiten", sagt Bostridge, der von Kindheit an mit den neuen Medien gelebt hat, "kann man Menschen auf diese Weise nicht mehr für Musik begeistern."



↑DA CAPO