Florian Boesch
Einer der großen Lied-Sänger seiner Generation, geprägt durch die Arbeit mit Nikolaus Harnoncourt und dem Concentus musicus.
Das Singen liegt bei den Boeschs in der Familie: Die Großmutter war eine der renommiertesten Gesangs-Pädagoginnen Wiens, der Vater, Christian Boesch, der weltweit meistbeschäftigte Darsteller des Papageno in Mozarts Zauberflöte in den Siebziger- und Achtzigerjahren.
Florian Boesch hat - wie sein Vater - wichtige Karriereschritte auf der Bühne der Salzburger Festspiele gesetzt. Herausragend fallen viele seiner Liederabende aus.
Hie und da wagt sich der Baßbariton sogar im Konzetsaal an quasi szenische Experimente. So präsentierte er in der Saison 2015/16 Schuberts Winterreise im Umfeld einer Bilderfolge.
Das Winter-Experiment
Rezension »Die Presse«, 15. Dezember 2015
Es war ein Experiment, was da im Brahmssaal passierte. Die Künstlerin Evelyn Grill ließ sich von Franz Schuberts Liederzyklus zu Siebdrucken inspirieren, die an den Wänden wie gigantische Kreuzwegstationen zu sehen waren. Am Ende stand der „Leiermann“, doch ist kaum zu glauben, dass da noch jemand im Auditorium der mehrheitlich abstrakten Bilder gewahr wurde. Zu krass, zu dringlich war, was man an diesem Abend zu hören bekam, eine „Winterreise“ ohne Konzessionen an etwelche Vorstellungen von Schöngesang oder Restbestände biedermeierlicher Salon-Idyllen, die vielleicht doch ein wenig kalmierend gewirkt haben mochten auch angehörs todessüchtiger Gesänge.
Paradoxe Balanceakte
Schubert selbst nannte die Lieder „schauerlich“. Daran halten sich Boesch und Zeyen, dem Text Wilhelm Müllers und den Klangskizzen des Komponisten verpflichtet, die Zeyen hie und da mit einer Schroffheit aus dem Flügel meißelt, dass auch der Hörer, der die Stücke gut zu kennen meint, sich fragt, ob all das tatsächlich in solch geradezu avantgardistischer Nacktheit und Ungeschminktheit in den Noten steht.
Es steht drin. Und Boesch singt, nein: rezitiert die bitterbösen, seelenzerfleischenden Gedichte ebenso genau nach den Noten, die Schubert dafür vorgesehen hat, aber doch wie ein frei sprechender, gewandter Redner. Er erzählt die Geschichte vom verstoßenen Liebhaber, zeigt uns in jeder Phase dieser Flucht nach innen sämtliche Verletzungen, die der verzweifelte Wandersmann im Gemüt mit sich schleppt. Farbliche, artikulatorische Differenzierungskunst führt uns manches illustrative Detail ganz bildhaft vor Augen: Das „Irrlicht“ kann man schimmern sehen. Vor allem aber spiegelt die Vokallinie seismografisch sprachliche Feinheiten wider. Einen Konjunktiv kann man, Boesch lässt uns das erleben, durch eine Verzögerung, die vielleicht einen Sekundenbruchteil dauert, in einen mentale Keulenschlag verwandeln. Die Altvordern bezeichneten den rhetorisch-musikalischen Vorgang als Rubato.
Wie ein solches funktioniert und warum das Gefühl dafür eine der nötigen Grundvoraussetzungen für das Erfassen und Wiedergeben der wichtigen Werke unserer abendländischen Musik darstellt, kann man bei Boesch und Zeyen lernen.
Dazu gehört etwa auch die auf den ersten Blick paradox anmutende Kunst, innerhalb einer freien, nur dem Textgehalt folgenden Phrasierung ein Tempo im Grunde beizubehalten und rhythmisch feinste Schattierungen zu befolgen. Da ist etwa die unter Interpreten viel diskutierte Frage, ob in der „Wasserflut“ tatsächlich zwischen Sechzehnteln und Achteltriolen zu unterscheiden ist. Darüber sind halbe Lehrbücher mit unterschiedlichen Ansichten gefüllt worden. Boesch und Zeyen differenzieren hier ganz genau und führen damit den Kontrapunkt sozusagen in metrischen Dimensionen auf die Spitze; dennoch wirkt es natürlich, fast improvisatorisch. Und ich verliere mich in Details, weil ich über das Ganze nicht mehr sagen kann, als dass es eine zu Herzen gehende interpretatorische Meisterleistung war. Es war übrigens auch eine Bilderreise, gemalt in Tönen und Klängen.